Urlaubsplanung sieht ja im besten Falle so aus, dass zwei Menschen am Telefon sitzen und auf die große Europakarte starren. Wohin fahren wir denn jetzt, fragen wir uns. Frankreich. Italien. Dänemark. Großbritannien. Belgien. Eigentlich stand Schweden hoch im Kurs aber erscheint uns dann doch für die Kürze der Zeit zu weit. So als hätten wir nie etwas anderes gemacht, vergleichen wir Zugtickets, fliegen gedanklich mit GoogleMaps über die europäischen Grenzen und checken parallel verfügbare Airbnb-Wohnungen. Der Finger tippt auf Mailand. Verona und Rom kennen wir schon. Aber die Metropole in der norditalienischen Lombardei, in unseren Gedanken bekannt für Designer Fummel und den gotischen Mailänder Dom, liegt noch unentdeckt vor uns. Noch bevor wir von schönen Models, gut gefüllten Aperol Spritz Gläsern, kleinen Gässchen und Panzerotti träumen können, steht uns eine ziemlich lange Fahrt von Leipzig über München und Verona bis nach Mailand bevor. Überraschenderweise vergehen die knapp 10 Stunden richtig schnell. „Schön, dass du endlich mal Urlaub machst“, steht in ungefähr zehn Nachrichten. Damit wir das auch besonders lang auskosten können, entscheiden wir uns eben auch für die Anreise mit dem Zug. Ist das dann „Slow Travel“, fragen wir uns und müssen lachen. Slow Travel – wie damals in Kopenhagen, genau unser Ding.
Genauso so „slow“ und um zwanzig Jahre gealtert, fühlt es sich dann auch an, wenn man zum ersten Mal den Fuß in die italienische Abendhitze hält und feststellt, dass man nicht einfach mal so ein Busticket zur erholsamen Couch kaufen kann. Ein schlichtes, männlich tiefes „Tabacchi“ weißt uns zurecht. An dieser Stelle gibt es keinen Einstieg für uns. Der nächste Bus wird kommen. Wir verstehen schon, Mailand. Du willst es deinen Touristen nicht ganz so einfach machen. Abgesehen von uns Touris mit Rollkoffern und Umhängetaschen, sehe ich auch niemanden, der sich sonst hilflos und hungrig vom Tag umsieht. Die Nahverkehrs-App, die eigentlich nur in der Desktop-Version richtig funktioniert, muss es richten. Nach einem Teller Pasta Bolognese und einem eher mittelmäßigen Weinweiß in unserer Hood, mitten in Cagnola, geht es uns aber schon viel besser. Pasta und Pizza all day long. Wir grübeln: Wieso kann man eigentlich jeden Tag Italienisch essen und kriegt trotzdem niemals genug? Ab jetzt sind wir vorbereitet und verstehen so langsam wie die Stadt tickt. Touristen laufen uns kaum über den Weg, mit unserem Englisch kommen wir auch nicht wirklich weit und Postkarten finden wir auch nirgends. Es wird Zeit, um mit einem lächelnden „Ciao!“ und „Grazie!“ um sich zu werfen und einfach mal loszulaufen. Das kommt immerhin ganz gut an.
Nach einem kurzen Blick zum Mailänder Dom – ok, schön aber es ist viel zu heiß, dem Gang durch die prunkvolle Viktor-Emanuel-Passage, Fotoposen mit abgespreizten Beinen inbegriffen, dem Teatro alla Scala und einem überteuerten Drink auf den Aperol Terrassen haben wir gefühlt alle offensichtlichen Sehenswürdigkeiten abgehakt. „Das letzte Abendmahl“ in der Santa Maria delle Grazie Kirche bleibt bis zum Schluss allerdings ungesehen. Aber dann heben wir uns eines der berühmtesten Gemälde der Menschheitsgeschichte für einen späteren Besuch auf. Mailand will entdeckt werden. Ohne Stadtplan in der Hand. Am besten zu Fuß oder mit den schweren Bikes von „Bike Mi“, die sich trotzdem wunderbar bis nach San Siro fahren lassen. Wir beschließen: Das Giuseppe-Meazza-Stadion, als Italiens größtes Fußballstadion, ist einen Besuch und Rasenstreichler wert. Gleich um die Ecke landen wir in einer herrlichen Trattoria, in der noch immer eine echte italienische mamma am Herd steht. Die Pasta all’amatriciana aus ihrem Kochtopf war ein Traum. Überhaupt: Allein in das Olivenöl mit Weißbrot könnte man sich schon legen. Dazu ein gepflegter Aperol Spritz im Schatten mit einem acqua frizzante und die Welt ist in Ordnung. Zur Zeit der Siesta oder der Aperitivo-Stunde, die nie mehr als 10€ kosten sollte, noch vor dem eigentlichen Dinner, ist sowieso alles gut. Wie die Italiener allerdings im ersten Gang Pasta und danach noch ein Steak vertragen können, ist uns aber ein Rätsel geblieben.
Wir entdecken sowieso so ziemlich viele kleine lustige Geschichten. Eiskugeln werden häufig nur im Paar verkauft, in den Freibädern herrscht Badekappenpflicht, auf dem Postamt werden Zettel zur Bearbeitung gezogen, Tomaten haben Geschmack, Fahrradfahren im Stadtverkehr ist die italienische Vorhölle, Toilettensitze sind überbewertet, die Trinkwasserbrunnen eignen sich nicht unbedingt zum Trinken, nicht alle Briefmarken kommen auch an und gefrühstückt wird eigentlich nur bei einem Espresso im Stehen. Von PRADA zum Loch im Boden. Irgendwie witzig. Innerhalb von sechs Tagen laufen und fahren wir gefühlt einmal quer in allen Himmelsrichtungen durch die Stadt, verlieben uns in die Gassen und den Botanischen Garten von Brera, die Kanäle von Navigli, durchstöbern die Second Hand-Stores, kaufen uns regionales Pesto für Zuhause und liegen stundenlang im Park bis die Mittagshitze verschwindet.
Einen Punkt möchte ich jedoch nicht missen auf unserem Trip durch Milano: Den Ausflug zur Kunstgalerie der Fondazione Prada, die uns nicht nur mit einem goldenen Turm mitten im Industriegebiet verwundert und auf die Dächer der Stadt lockt, sondern auch in vergange Zeiten der „Luce Bar“ entführt, die von Wes Anderson höchst persönlich entworfen wurde und im Geiste an „Grand Hotel Budapest“ erinnert. Schon wieder treffen wir mit diesem künstlerischen Spielplatz auf einen Gegensatz, wenn wir uns nur die Gegend genauer anschauen. GUCCI und Armani vermisst in diesen Straßen sicher niemand. „Kann sich mal kurz jemand auf meinen Koffer setzen?“, denke ich mir und drücke die Tomatensauce im Glas fester ins Innere. Mit dem Bus zurück zum Bahnhof? Ach, kein Problem. Schnell noch Briefmarken auf Italienisch kaufen? Kinderspiel. Am Ende der Reise schlängelt sich der Euro-City wieder durch die grüne Alpenlandschaft, vorbei an kristallklaren Seen und schneebedeckten Gletschern. Milano, bella italia!
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