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das leipziger lifestyle magazin. ein hoch auf die kreativen dieser stadt!

wir sind so leicht, dass wir fliegen.

Im Blick zurück entstehen die Dinge. Wenn man mal ein paar Tage frei hat, fängt man an wieder in alten Ordnern zu stöbern, Fotos zu sortieren, zu kochen, Bücher zu ordnen, Wände umzudekorieren und Möbelstücke in der Wohnung zu rücken. „Ist dir langweilig?“ „Nein, aber kleine Veränderungen sind gut“. Im Zuge dieser selbstverschriebenen Umräumaktion ist mir wieder ein kleiner gelber Ordner mit der Aufschrift „blogfotos“ aufgefallen. Nicht von diesem Blog, sondern viel älter. Gefühlte Ewigkeiten her.

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Während man sich durch die ersten Blogfotos klickt, verschwindet man langsam wieder in diese Zeit von vor drei Jahren. „Hatten wir damals einfach so viel mehr Zeit?“. „Was haben wir denn den ganzen Tag lang gemacht?“. Man findet Bilder von geheimen Aktionen, bei denen wir Blumen aus benachbarten Gärten klauen, Germknödel backen, nächtelang am Südplatz sitzen, durch die Stadt spazieren, sehr furchtbare (und zugleich lustige) Outfit-Fotos in Abbruchhäusern fotografieren, die Abende mit einer Flasche Wein und Antipasti am Elsterufer vorbeiziehen lassen, mit Glitzer auf der Haut nach Hause kommen, ständig Schnaps trinken, Teetassen, Eulenketten, Nachtgeschichten und einfach gefühlt jeden Tag draußen am See oder Kanal lagen. Drei Tage wach – kein Problem. Wir scrollen uns durch die alten Beiträge auf unseren früheren Blogs und müssen lachen. Hier ist der Beweis. „Gott, was hab ich denn da alles fotografiert?“ „Jeden Tag einen Blogeintrag! Wirklich jeden Tag…“. Was ist denn aus diesen Tagen, die so leicht, wild und melancholisch im Rückblick wirken, geworden? Immerhin hat man jetzt das Gefühl, dass man es mal hinbekommt scharfe Bilder zu fotografieren, auf Bildaufteilungen achtet, Lichtverhältnisse stimmen und Farben zur Stimmung anpasst. Insgesamt so, dass die Bilder nicht nur Geschichten erzählen, sondern auch einen gewissen ästhetischen Anspruch erfüllen. Denn das sollen sie. Aber trotzdem schaut man sie mit diesem Gefühl von Wehmut an. Die Bilder von früher wirken lebendiger, verspielter, neugieriger – so als würde niemanden Linien, Farben und Kompositionen interessieren. Ohne Gedanken dahinter. Einfach nur gefühlt und fotografiert. Verwackelt ja, aber in der Gesamtheit bedeutungsvoll. Während man in aktuellen Bildern auf Symmetrie, Klarheit, aufgeräumte Kompositionen setzt, verliert man vielleicht den Blick für das, was man eigentlich zeigen will. Nämlich die Geschichte dahinter. Vor drei Jahren hat es mich nicht im Geringsten interessiert oder gestört, wenn man jeden Tag eine kleine, völlig belanglose Geschichte auf übertriebenste Art und Weise ausgeschmückt und veröffentlicht hat. Lässt man das jetzt sein, weil mehr zuschauen, passiert einfach weniger oder fehlt der Freiraum dafür? Ich weiß es nicht. Es fällt mir nur auf. Was ich aus dieser nächtlicher Leseaktion und Erinnerung für mich mitnehme? „Nichts“, sagt der Junge neben mir, „Ich hab schon immer dumme Texte ohne Sinn geschrieben. Aber vielleicht war ich früher politischer“. Fotografische Standards, die man sich angeeignet hat, bleiben und werden höchstwahrscheinlich noch besser. Und das ist auch gut so. Aber vielleicht muss man die kleinen Dinge wieder mehr wahrnehmen und sich irgendwie Zeit dafür verschaffen. „Früher war eben nicht alles schlecht. Aber man will auch nicht wieder zurück“, sagt er. Ein guter Abschluss. Wir klappen den Laptop zusammen, räumen die Tasse Tee weg und schauen auf die Uhr: „Zeit zum Schlafen“. [Dieser „Er“ ist übrigens Martin von kartoffelwasser.de]

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