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wir sagen ja, meinen nein. jeder denkt für sich allein, aber niemand will alleine sein.

Ich war als Kind eine fürchterliche Puppenmutter. Meiner Puppe Jule, die ich leihweise von meiner Cousine anvertraut bekommen hab, fiel auf einer Radtour an der Nordsee der Kopf ab. War wohl zu windig. Leider fiel mir das erst ungefähr 200 Meter nach dem Unfall auf und auch nur weil mich mein großer Bruder auf den Verlust hinwies. Eine eigene Puppe, die nicht mal einen Namen hatte, schob ich mal vor, um meiner Mama ein schlechtes Gewissen zu machen weil sie kein Mittagessen gekocht hat. Meiner Diagnose zufolge, starb die namenlose Puppe den qualvollen Hungertod. Kann schonmal passieren, wenn man das Mittagessen auslässt. Puppen waren einfach nicht mein Thema. Beim Gedanken an die Baby Borns meiner Cousinen überkommt mich heute noch ein leichter Würgereiz. Ganz anders bei Kuscheltieren. Drache Poldi, seines Zeichens Handpuppe ist noch heute im Kindergarten tätig und liest Geschichten vor. Der kann ja nur so gut lesen, weil ich ihm das damals beigebracht hab. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass Poldi meine einzige Plüschleiche im Keller ist. Und dass die auch nicht ganz so schwer wiegt, weil wir unseren Lebensmittelpunkt ja 170 Kilometer voneinander entfernt gefunden haben. Letzteres stimmt sogar. Für Poldi und mich. Jedoch nicht für die restliche Gang. Auf einer Skala der Verrücktheit alleinstehender Frauen liegen Kuscheltiere ganz knapp neben einer Horde Katzen und sind nicht weit entfernt von exzessiven Tupperparties. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass mir weder Katzen ins Haus kommen, noch überteuerter Kunststoff. Nudeln gammeln in meinem Haushalt in weitaus günstigeren Gefäßen und Katzen, naja.

Ich schweife ab. Zurück zur Gang und dem Erklärungsversuch, wieso ich die Bande nicht längst verschenkt oder ausgesetzt hab. Leila, CEO of the Kuschelbande habe ich vor etwa 26 Jahren von meiner Cousine geschenkt bekommen. Sie war damals selbst in einem Alter in dem man sich von seinen Plüschtieren trennt. Glück für mich, denn seitdem beschützt mich ein Nilpferd in perfekter Kuschelgröße vor Alpträumen. Die hab ich ziemlich oft, doch bislang war kein Traum zu gruselig, als dass Leila ihn nicht spielend weg gezaubert hätte. Vielleicht liegt es auch an dieser Superpower, der sie ein gewisses Alleinstellungsmerkmal verdankt, dass sie im Zuge der Zeit eine eigentliche Persönlichkeit entwickelt hat. Leila ist laut, egozentrisch, unhöflich und sehr präsent. Kann ich ja ein bisschen verstehen, denn sie hat einen harten Job.  Als ich die thüringer Einöde für ein Jahr gegen die französische Walachei eintauschte, kam Leila mit. Allerdings nicht im Koffer. Den Frachtraum eines Flugzeuges findet sie entwürdigend.

Als ich nach Leipzig zog, um zu studieren, kam Leila mit. Um zu feiern, sich zu prügeln und Schutzgeld zu kassieren. Dass ich sehr selten zuhause bin, findet sie super, denn so hat sie die Wohnung für sich. Aufgaben im Haushalt möchte sie dennoch nicht übernehmen, denn sie müsse ihren eigenen Kram erledigen, verdammt nochmal. Und die anderen in Schach halten. Das wäre zum einen Bienenkerl Willi, der eigentlich bei Freundin D. und ihrem Mann im Schlafzimmer wohnte. Als ich dort mal zeitweise wohnte, um mich um deren Katzen zu kümmern und vielleicht auch vom Wunsch zu heilen, selbst wieder Katzen haben zu wollen, lernte ich Willi kennen und äußerte mich im Nachhinein vielleicht eine Spur zu verzückt über den gelb-schwarz-gestreiften Herzensbrecher. Da Willi ein Überbleibsel einer verflossenen Beziehung war, zeigte sich Freundin D. recht freigiebig und zack, zog Willi, das Scheidungskind bei mir ein. Beim letzten Umzug fasse ich jedoch den Entschluss, dass wir uns trennen müssen. Ich wollte erwachsen sein und Willi passte da einfach nicht rein, in mein Konzept der erwachsenen Luise. Leila sah das ganz genauso. Nur Freundin und Umzugsassistentin K. nicht, denn sie schmuggelte Willi in die neue Wohnung und so thront dieser nun mit Cruella Deville Perücke und Blumenkranz auf einem Designerstuhl am Esstisch. Anscheinend hat er meinen Trennungsversuch nicht so ganz verkraftet.

Der neueste Zuwachs war eigentlich ein Unfall, aber das darf ich ihm nicht sagen, denn das tut man einfach nicht. Manchmal überrasche ich mich ja selbst ein bisschen mit Charaktereigenschaften, deren ich mir zwar bewusst bin, aber deren Ausmaß mich dann doch staunend zurück lassen. Bei Kevin, dem Plüschhasen war es so: ich entdeckte ihn irgendwann im Schaufenster eines Unternehmens, dessen Erfolg auf den Schultern eines einzigen Chocolatiers mit Schneebesen ruht und es war Liebe auf den ersten Blick. Sieben lange Jahre sollte es dauern bis wir endlich zueinander finden. Normalerweise ebbt meine Verliebtheit viel schneller ab, besonders wenn die Chancen auf Erfolg eher gering sind. But it was meant to be. Sieben Jahre lang nervte ich mein Umfeld und jeden der es nicht wissen wollte. Ohne Erfolg. Seit zwei Jahren warnte mich meine Schwester stets vor Anfang der Ostersaison, dass ich dieses Jahr nicht wieder mit “diesem Vieh” anfangen solle. Aber meine Hartnäckigkeit wurde belohnt: letztes Jahr fand ich Kevin im Osternest. Meine Mama kommentierte meinen Fund mit “damit dieses Drama endlich ein Ende hat.” Leider hat Kevin einen recht gruseligen Gesichtsausdruck. Selbst Leila hat Angst vor ihm. Manche Dinge sollte man sich dann eben doch nicht ins Haus holen.

Die restliche Gang wohnt im Kindergefängnis, einem Beistelltisch aus Draht mit Platte obendrauf. Manchmal rede ich mir ein, dass ich zumindest Spielzeug im Haus hab, falls mich Freundinnen mit Kindern besuchen und ich mich allein deswegen nicht von ihnen trennen kann. Beim letzten Besuch von Baby H., pries ich alle plüschigen Freunde an und hielt sie ihm vors Gesicht. Gespielt hat er dann mit einem alten Karton. Haben wir alle ziemlich traurig geguckt. Und danach hab ich alle Kuschelkumpels wieder ins Gefängnis geräumt und musste grinsen, weil mir dann die Geschichten zu jedem einzelnen eingefallen sind. Zu Weihnachtsmann Jürgen, Schneemann Ollie und Pinguin Penelope. Zu Hase Rüdiger Lucienne, zu Robbe Jupp Oliver und zu Schildkröte Cindy. Zu dem Lamm das keinen Namen hat, aber ein umso süßeres Grinsen. Deswegen kann ich mich nicht von ihnen trennen. Und weil ich mir gruselige Filme angucken kann und dennoch keine Angst vor den bösen Träumen haben muss, weil ich von Leila beschützt werde.

 

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