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das leipziger lifestyle magazin. ein hoch auf die kreativen dieser stadt!

ich liebe die, die jeden einfall ausprobieren. der erfahrung ein schnippchen schlagen.

Es zieht ein Gewitter über der Stadt auf. Die dunklen Wolken verraten samt zuckender Blitze, dass es sich nur noch um wenige Minuten handeln wird, in denen man trocken nach Hause kommt. Ein ruhiger Sonntagabend, der davon geprägt ist, die letzten Tage gedanklich festzuhalten. Denn diese zehn Tage haben es mehr als verdient, diese Aufmerksamkeit zu bekommen. Florian Sievers singt im Hintergrund immer wieder die Liedzeile: „Ich schulde dem Leben das Leuchten in meinen Augen. Wann strahlst du?“ (im Original natürlich von Carsten Erobique Meyer & Jacques Palminger). Er singt von Neugier, von Mut, von Träumen, von denen, die im Jetzt leben, von Blumen im Schrott und von denen, die aus dem täglichen Trott austreten. Mein Gesicht verzieht sich zu einem Lächeln und ich wippe mit dem Fuß mit. Der Regen ist angekommen. Und ich bin wieder angekommen. Voll und ganz. Es brauchte einige Tage, um diese innere Ruhe wieder zu spüren, den Zeitdruck, die Erwartungslast, Sorgen, Grübeleien und dunklen Wolken der letzten Wochen zu vertreiben – und sich nicht von dem Blick zu den Nachrichten auffressen zu lassen. Wie dicht die Wolken sich eigentlich über meinem Kopf zusammengebraut hatten, konnte ich erst dann sehen als sie sich lockerten. Ich war nie ein großer Freund des Wegseins, weil ich meinen Alltag, mein Umfeld und meine Freiheiten sehr schätze. Es fiel mir immer etwas schwer das E-Mail Postfach ungeöffnet zu lassen, nicht direkt zu antworten, nicht darüber nachzudenken, was ich gerade Zuhause erleben oder auch verpassen könnte und außerhalb vertrauter Wege anzukommen. Wozu dann also weg sein, wenn es mir doch so gut gefällt immer am gleichen Ort zu sein?

Diesmal war ein Punkt erreicht, an dem ich mich selbst aus dem Blick verloren hatte und im Vertrauten keine Ruhe finden konnte. So sehr ich sie auch suchte. Die gleiche Anspannung und Auflistung von Dingen, mit denen ich ins Bett ging, waren direkt am nächsten Morgen wieder präsent. Du musst noch das, das, das und das erledigen. Vergiss nicht das. Aber bevor du damit anfängst, musst du unbedingt noch… Am Ende passierten Fehler, Schusseleien sorgten dafür, dass alles länger dauerte und die Last auf den Schultern nicht leichter wurde. Wir arbeiteten auf diesen einen Tag hin und setzten uns eine Frist. Bis dahin musste alles fertig sein – zugegeben auch nicht die beste Idee aber sie verschaffte uns Luft. Knapp 21 Stunden brauchte es, eh wir dort ankamen, wo wir die nächsten sieben Tage sein sollten – ein Urlaub in Frankreich. Vielleicht waren wir nicht lang oder weit genug weg, würden manche sagen aber für mich war es genau richtig. Es war an der Zeit für kleine Abenteuer, für gutes Essen, für eine andere Sprache, für Bücher am Abend lesen bis es dunkel wird und wir die Augen zusammen kniffen, für Eiswürfel im Weinglas, für Sonne im Gesicht, für Betrunkenheit, für ausgelassene Abende, für schief gesungene Lieder, für den Gedanken nachhängen, für ein Müdesein vom Nichtstun und sich Zeit lassen. Wieder mehr „Ja“ zu sagen. Oder wie M. sagte: „Am Ende des Lebens wird man nicht zu sich sagen: Ach, hätte ich doch weniger… vielmehr geht es doch darum öfter ‚Ja‘ zu Dingen zu sagen, die einem ein gutes Gefühl geben könnten“. Ein wahrer Meister, der guten Worte – verrückt, dass er mich daran erinnern musste.

Zurück zu Hause spüre ich noch immer eine unglaubliche Leichtigkeit, ein Grinsen im Gesicht und eine Gelassenheit, von der ich hoffe, sie möglichst lang zu bewahren – auch, wenn alles wieder ganz normal weiter geht. „Gelöst“ und „ungezwungen“ beschrieb mich O. als wir uns wiedersehen. Ich schaue ihn mit einem großen Strahlen im Gesicht an und fühle mich auch wieder wie ich mich selbst am liebsten mag. Ich will alte Liebeslieder wieder hören, lesen, Kunst sehen, auf Konzerte gehen, tanzen, betrunken nach Hause fahren, bis spät nachts telefonieren, Dummheiten machen und sich dabei lachend angrinsen. Ich appelliere daran mehr an die eigenen Grenzen zu denken, auf sich zu achten, sich nicht jeden Tag zu überbieten, mehr Musik zu hören, mehr in Büchern abzutauchen, mehr den Himmel anzustarren und gute Gespräche zu führen. Sich öfter aus dem Gewohnten zurückzuziehen und dafür mehr Dinge zu erleben, zu denen man „Ja“ sagt. Vielleicht begegnen wir uns dann viel glücklicher, leichter und respektvoller – vielleicht hören wir uns dann besser zu, gehen mehr aufeinander ein und nutzen die freigewordenen Kapazitäten für etwas Gutes – nämlich für unser Miteinander, für uns bisher Fremdes. Das E-Mail Postfach ist wieder offen, der erste Überblick und Plan für die kommende Zeit steht – nur fühlt es sich diesmal besser an. Eine Frage habe ich noch: Und wann strahlst du?

[Fotos (c) Robert Strehler Fotografie]

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