Manchmal müssen wir gar nicht in die Ferne schweifen, wenn die guten Geschichten doch so nah liegen. Als ich meine Heimatstadt hörte, klingelte es in meinen Ohren. Knapp 80 Kilometer von Leipzig entfernt, liegt, die – oft unterschätzte, schlecht an das Bahnnetz angebundene – kleine Schwester Chemnitz und sie strotzt dabei nur vor Historie und Wandel zwischen „The German Manchester“, „Karl-Marx-Stadt“ sowie der baldigen Europäischen Kulturhauptstadt 2025. In Chemnitz findet man alles und auch nichts – oder wie re:marx es zusammenfassen „Party. Pöbeln. Poesie“. Ganze Abhandlungen könnten über das Gefühl „Chemnitz“ und diese ganz besonderen Grau- und Beige-Töne im Stadtbild und oftmals auch in den Gesichtern der Menschen geschrieben werden. Neben diesen Werken stehen dann im Regal wunderschöne Texte über Künstler*innen, Kollektive und politische Aktivist*innen, die sich aus der Stadt heraus gegen all das Übel stehen, das in den Chemnitzer Kellern empor keimt, um zu zeigen wie wichtig es ist, dass nicht alle Menschen wegziehen, die Stadt sich selbst zu überlassen und stattdessen mit wichtiger politischer Arbeit, guten Texten sowie einer scharfen Prise Humor ein neues, starkes Bild von Chemnitz zeichnen. Die, die noch an die Stadt glauben, auch, wenn es Chemnitz längst nicht mehr tut. Dabei gibt es viele gute Geschichten, die erzählt werden wollen, so auch diese. Ich schweife ab. Denn immer, wenn ich als Chemnitzerin gefragt werde, wofür die Stadt bekannt ist, rattern die bahnbrechenden Erfindungen der einstigen Industriestadt im Automobilbau, Maschinenbau oder der Textilwirtschaft ebenso wie namenhafte Unternehmer wie Richard Hartmann, Carl Gottlieb Haubold oder Louis Schönherr durch meinen Kopf. Begriffe wie Diamant, Fewa Feinwaschmittel, Wanderer, das Karl-Marx-Monument – liebevoll „Nischl“ genannt –, Eislaufprinzessinnen und das Kosmonautenzentrum „Sigmund Jähn“ fallen bei dieser Überlegung immer. „Kraftklub und Blond, nicht zu vergessen!“, ruft mein Gegenüber. Natürlich! Die Auflistung könnte noch ewig so weitergehen. Wusstet ihr, dass Karl Max nie in Chemnitz war oder, dass das Design der fit-Spülmittelflasche dem „Roten Turm“ in Chemnitz nachempfunden ist? Gut, dass wir das geklärt haben.
Beinah hätte ich im Zuge einer beginnenden Schwafelei vergessen, die Urform des modernen Bürostuhls zu erwähnen, die in den 1920er Jahren in Chemnitz von Karl Robert Wagner, einem gelerntem Schlosser, konzipiert wurde. Der Rowac-Schemel, behauptet in typischer Chemnitzer-Manier ganz selbstbewusst von sich: „Alle anderen sind nur Hocker“. Vermutlich behält der Schemel recht. Karl Robert Wagner gilt als der Erfinder des Stahl-Schemels, mit dem unter anderem das Bauhaus Dessau in den Lehrräumen und den Werkstätten ausgestattet wurde. Bereits im Jahr 1888 gründete er das metallverarbeitende Unternehmen in Chemnitz, das sich auf Möbel für den industriellen Gebrauch und später auf gesundheitsgemäße Arbeitssitze für Werkstätten und Büros spezialisierte. „Der Bedarf an funktionalen und zugleich langlebigen Betriebseinrichtungen wächst, das Sitzen bei der Arbeit wird immer wichtiger. Mit der Erfindung des Stahl-Schemels ist Rowac das erste Unternehmen, welches Möbel aus Blech herstellt. Jahrelange Versuche, Berechnungen und Beobachtungen fließen in Entwicklungen optimaler Sitz- und Rückenlehnenformen ein; Rowac wird zum Pionier der Ergonomie. Es entsteht eine breite Produktpalette für Werkstätten und Büros, darunter Stühle, Tische, Werkzeugkisten und -schränke“, heißt es in den Rowac-Chroniken. Der Rowac-Schemel selbst bleibt ein Klassiker – ob als Sitzgelegenheit, Beistelltisch oder Bühne – er erfüllt jeglichen Zweck. Mit seinem minimalistischem Design, seiner erstaunlich leichten und zugleich stabilen Bauweise passt der Schemel in jedes Setting. 1946 wurde das Unternehmen enteignet und seine Produktionsanlagen in die VEB BEMEFA (Betriebseinrichtungen und Metallwarenfabrik) eingebracht – damit endete die Ära des Designklassikers vorerst.
Doch der Rowac-Schemel wäre nicht unverwüstlich, wenn die Legende nicht wieder zurückkehren würde. Bei einem der unzähligen Flohmarktbesuche von Alide und Dieter Amick liebäugelten sie mit einem entdeckten Originalen Rowac-Schemel, der zur praktischen Kücheneinrichtung einziehen sollte. Die gebürtige Berlinerin und Augenoptikermeisterin, Alide, und den Industriedesigner aus Washington State sprach das klassische, zeitlose Design sofort an. „Wir stehen auf Produkte, die Geschichte erzählen. Handwerkliches Können wissen wir zu schätzen. Wir achten auf umweltfreundliche, faire und regionale Produkte. Kunst und Kultur sind wichtige Bestandteile der Gesellschaft, die wir schätzen und unterstützen“, erzählen sie bei meinem Besuch in ihrer Leipziger Wirkungsstätte. „Wir haben uns gefragt, ob die Schemel neu produziert werden und haben angefangen zu recherchieren“, erzählt Dieter, der in seinem Praktikumsjahr in München auf Alide traf. Schnell haben sie herausgefunden, dass die Produktion vor vielen Jahrzehnten eingestellt wurde – doch die Nachfrage nach dem Chemnitzer Original ist ungebrochen. „Wir haben herausgefunden, dass die Marke Rowac zwar eingetragen ist aber, dass niemand etwas mit dem Produkt unternimmt“, erinnert sich Alide. Gemeinsam beschließen sie einen Brief an die Markenbesitzer*innen zu schreiben – dass sie jedoch eine Antwort erhalten, hätten sie so nie geglaubt. Am 1. Januar 2020 sollte sich alles ändern.
„Uns ist es wichtig mit all dem, was hinter der Marke Rowac steckt, ehrlich umzugehen. Egal, ob es sich um die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft handelt.“
„Seit 2020 arbeiten wir daran, die Marke Rowac wieder aufleben zu lassen. Dabei lag uns zunächst die Aufarbeitung der Geschichte besonders am Herzen. In dem Zusammenhang sind wir dankbar über den Kontakt zu den Nachfahren des Gründers“, erzählen die Designliebhaber*innen und haben sich mit der bewegten Geschichte der Firma Rowac besonders im Zweiten Weltkrieg bewusst auseinander gesetzt. Nach einigen Monaten der Zusammenarbeit beschlossen die Markeninhaber*innen die Zukunft der Marke Rowac in die Hände von Alide und Dieter zu geben. „Wir haben gar nicht lange überlegt und zugesagt“, strahlt Alide. „Mit dem neuen Auftritt der Marke legen wir besonderen Wert darauf, dass die von Karl Robert Wagner einst so technisch ausgereiften Details, die für die Funktionalität und die Langlebigkeit der Produkte stehen, weitergeführt werden“, sagen sie und machen es sich zur Aufgabe, dieses traditionsreiche Kulturgut zu bewaren und an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Mit dem dreibeinigen Rowac-Schemel bringen die begeisterten Designliebhaber*innen 2023 einen Klassiker im Bereich des Industriedesigns wieder auf den Markt und setzen dabei weiterhin auf die Werte der Zweckmäßigkeit, Unverwüstlichkeit und Ehrlichkeit. Im März 2023 startet dazu auf Kickstarter für 30 Tage eine Crowdfunding-Kampagne. Währenddessen ist es möglich, die Preorders zu einem deutlich günstigeren Preis zu tätigen. Doch das ist noch längst nicht alles, sondern erst ein Anfang in der neu auferstandenen Rowac-Familie. Denn außerdem sollen ausgewählte Produkte aus der bestehenden Produktpalette wiederbelebt sowie neu gestaltete Produkte mit den typischen Eigenschaften Rowacs entwickelt werden. Von Chemnitz in die Welt – in mehr als 100 Jahren.
Was?
Rowac – Originale Produkte, Ersatzteile & Accessoires
Wann?
– voraussichtlich ab 2023 lieferbar –
Wo?
Leipzig & Online-Shop.
Warum?
Wegen echter Traditionsarbeit und Liebe zum Handwerk. Alide und Dieter Amick erwecken den zeitlosen Design-Klassiker wieder zum Leben und verhelfen dem Rowac-Schemel sowie weiteren Erzeugnissen aus der historischen Produktpalette zu neuem Glanz. Mit seinem minimalistischem Design, seiner leichten und zugleich stabilen Bauweise passt der legendäre Rowac-Schemel einfach in jedes Setting – egal, ob als Sitzgelegenheit, Beistelltisch oder Deko-Element im Büro und Garten. Originalgetreu hergestellt mit Partner*innen in Chemnitz und der Region. Willkommen zurück!
// Instagram.
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.