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das leipziger lifestyle magazin. ein hoch auf die kreativen dieser stadt!

i love you more. more than you know. gonna let it show.

Der Übergang von Frühling zu Sommer hält doch so viel Schönes bereit. Die dicken Mäntel und schweren Boots werden durch leichte Trenchcoats und luftiges Schuhwerk ersetzt. Spätestens an diesem Punkt beschäftigt mich die Frage, ob ich Birkenstocks mit Glitzersocken kombinieren kann. Vielleicht gehe ich aber auch einfach mal zur Pediküre – und kombiniere dann meine Birkenstocks mit Glitzersocken. „My feet, my choice“. Balkone durchlaufen die Metamorphose vom Pflanzenfriedhof und Flaschenlager zu kleinen, grünen Oasen. Ehe es bei mir soweit ist, gebe ich erst viel Geld für neue Pflanzen aus und führe mit den Spatzen eine Diskussion darüber, was Timesharing genau bedeutet und dass ich es bin, die die Miete für ihr temporäres Wohnklo zahlt. Aber es gibt auch eine Sache, die ich nicht so gut finde. Jedes Jahr aufs Neue, da bin ich, meinen Sternzeichen Steinbock verpflichtet, sehr hartnäckig. Objekt meiner Aversion ist ein Gemüse, das in traditionellen Systemen einst zur Gattung der Liliengewächsen gehörte. Aufgrund seines übersteigertes Egos bildet es nun seine ganz eigene Familie, nämlich die der Spargelgewächse. Ja, ich mag keinen Spargel. Jetzt ist es raus! Geschmacklich halte ich ihn für absolut überschätzt. Für mich ist er die nach Aufmerksamkeit heischende Zicke unter den Gemüsesorten.

„Spargel ist wie dieser Klassenkamerad, der nicht müde wird auf jedem Klassentreffen von seinem ‚mind blowing‘ Work and Travel in Australien zu berichten.“

Spargel ist wie dieser Klassenkamerad, der nicht müde wird auf jedem Klassentreffen von seinem „mind blowing” Work and Travel in Australien zu berichten. Jetzt zieht er bald nach Berlin, um ein Startup für Saftkuren zu gründen. Beruhige dich, Sören. Du bist so nicht so besonders, wie du denkst und das ist auch gar nicht schlimm, aber bitte, hör endlich auf zu reden. Dieser Hype, der dieses farblose, eingebildete Stängchen jedes Jahr auslöst, nervt und fasziniert mich gleichermaßen. Mir stellt sich mittlerweile die Frage, ob die Geisteshaltung des Spargels ein bisschen unverschämt, oder letztlich doch ganz schlau ist, denn für mich ist das Verhältnis zwischen In- und Output eher unausgewogen, möchte ich sagen. Spargel braucht einen fluffigen, schön aufgewärmten Boden. Um diesen Wunsch durchzusetzen, macht er auch nicht davor Halt, sich mit Plastikfolien abdecken zu lassen, damit er es schön muckelig hat. Arbeitserleichterung durch den Einsatz von Maschinen? Nein, das möchte Spargel nicht, denn er besteht darauf, von Hand gestochen zu werden. In Deutschland dauert die Spargelsaison von Anfang, Mitte April bis zum 24. Juni. Keinen Tag kürzer oder länger. Das ist so, als würde ich zu meiner Chefin sagen, dass ich nicht ganz genau weiß, wann ich anfange zu arbeiten, aber den Zeitpunkt meines Feierabend genau benennen kann und danach erstmal ein Sabbatical einreichen muss. Diese Work-Life-Balance hätte ich auch gerne.

 

Hat man sich dann entschieden, sich Spargel zu gönnen und damit die Tatsache besiegelt, den Rest des Monats Toastbrot zu essen und die Altersvorsorge in den Wind zu schießen, hören die Allüren des blassen Gewächs ja nicht auf. Meine Abneigung gegen eine eventuelle Zubereitung, zu der es natürlich nie kommen wird, begründet sich natürlich in meiner allgemeinen Unlust zu sämtlichen kochbezogenen Aktivitäten. Vielleicht würde ich mich sogar darauf einlassen, wenn Spargel in der Zubereitung eine gewisse geschmackliche Wertschöpfung erfahren würde, aber Pustekuchen. Es entsteht ganz viel Abfall, aus dem man dann eine beige, traurige Suppe kochen kann und das Endprodukt ist meines Dafürhaltens nur mit sehr viel Sauce Hollandaise und noch mehr Weißwein zu ertragen. Als wäre das nicht schon schlimm genug, lässt einen dieses gemeine Gemüse auch Tage später noch nicht los. Das ist wie ein schlechtes Date, das man dann mindestens noch eine Woche jeden Tag kurz sehen muss. Wer kann so etwas nur freiwillig wollen?

Die einzigen Vorteile von Spargel sind die übersichtliche Saison, Sauce Hollandaise und Weißwein. Und, dass danach die Erdbeeren kommen, die kleinen roten Schätze. Auch, wenn ich mich immer gegen Spargel entscheiden werden, und mich weder die äußeren, noch die inneren Werte überzeugen, so möchte ich dennoch ein bisschen mehr Spargel-Spirit in mein Leben lassen, denn man kann viel ihm lernen. Spargel zweifelt nicht an der eigenen Kompetenz. Spargel steht zu seinen Bedürfnissen und fordert diese auch bei anderen ein. Spargel wird nie an einem Burnout leiden, weil er um die Wichtigkeit von Regeneration weiß. Spargel nimmt sich die ganz große Bühne und lässt sich feiern – und Spargel wird sich trotzdem weiterhin toll finden, obwohl ich es nicht tue. You go, Spargel!

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