Ich bin allergisch. Meine Allergie (ich bevorzuge hier die mondän französische Aussprache: „Aläääh-schiie“) äußerte sich erstmals mit einem komisch unwohlem Gefühl. Wissentlich kam ich mit dem Allergen erstmals bei einem Streit mit einem meiner Exfreunde in Berührung (GaliGrü gehen raus!). Danach begegnete es mir in Form eines Plakats im Schaufenster des Nachbarhauses. Dort eröffnet demnächst ein Burrito-Laden und ich war sehr überrascht, es dort anzutreffen. Die Reaktion war diesmal etwas intensiver, ich war fast ein bisschen wütend. Mittlerweile werden meine allergischen Reaktionen jedoch immer heftiger und ich möchte nicht ausschließen, dass ich bald anfange rumzuschreien, wenn meine armen Augen noch einmal irgendwo den Spruch „good vibes only“ lesen müssen. Diese Dummheit aus 13 Zeichen begegnet mir so oft und ich finde fast nichts furchtbarer. Jeder einzelne Buchstabe dieses Satzes tut mir Leid.
Als ich meiner sehr schlauen Freundin C. am Wochenende von meiner Allergie berichtete und wütend gestikulierte, meinte sie, dass es sieben Basis-Emotionen gibt und nur eine davon, nämlich die Freude, positiv besetzt ist. Die restlichen Schlawiner nennen sich Angst, Wut, Ekel, Trauer, Verachtung und Überraschung, wobei man bei letzterer davon ausgehen kann, dass sie in beiden Teams spielt. Aber insgesamt ziemlich wenig good vibes, oder? Bei mir kommt bei diesem Satz nämlich nur eines an: Du bist falsch und anstrengend, wenn du nicht permanent bekloppt lächelnd und gut gelaunt durch diese Erfindung namens „Leben“ hüpfst. Da frage ich mich doch, ob ich mir das von einer Burrito-Bude, einer Kaffeetasse, einem Jute-Beutel, irgendeiner random Person auf Bumble oder überhaupt irgendjemanden sagen lassen muss. Die Antwort lautet: Nein, no und non. Denn meine Krankenkasse zahlt mir doch keine teure Therapie, dass ich mir verbieten lasse, einen mit Bohnen gefüllten Weizenfladen mit schlechter Laune zu essen oder die Guacamole mit meinen Tränen nachzuwürzen.
„Mittlerweile werden meine allergischen Reaktionen jedoch immer heftiger und ich möchte nicht ausschließen, dass ich bald anfange rumzuschreien, wenn meine armen Augen noch einmal irgendwo den Spruch „good vibes only“ lesen müssen.“
Ich hoffe natürlich inständig, dass meine Therapeutin mitliest und ich bei meiner nächsten Sitzung gelobt werde. Zurück zum Thema: Das Leben besteht halt nicht nur aus Freude, sondern vornehmlich auch aus dem ganzen Rest. Das habe ich nun begriffen. Unliebsames unter den Teppich kehren, bringt wenig. Ich habe das für euch ausprobiert – klappt wirklich nicht. Deswegen sage ich: All vibes, por favor! Das Geheimnis liegt nämlich darin, erstmal all den Quatsch an Gefühlen, Gedanken und Emotionen im Kopf ankommen zu lassen und dann zu entscheiden, ob man sie direkt wieder rausschickt, ob sie auf einen Espresso oder eine Flasche Wein bleiben dürfen. Alle sind willkommen, über die Verweildauer wird dann entschieden. Klar, da ist erstmal richtig was los im Oberstübchen – und oftmals tut es auch ein bisschen weh. So wie mit meinen Küchenschränken. Da habe sich alle Lieblingsmenschen immer den Kopf gestoßen. Hätte mich ja auch drüber freuen können, dass mir das nicht passiert, weil ich nur 1,63 Meter groß bin.
Auch meine Freund*innen hätten sich freuen können, dass sie selbst Zuhause nicht so eine Rumpel-Küche haben. Ihnen schmerzte jedoch der Kopf, ich hab mich geärgert und auch ein bisschen geschämt, dass sie sich so einer unsicheren Umgebung aussetzen, wenn sie schon für mich kochen. Kriegen wir jetzt eben eine neue Küche. Und wer jetzt „Everything happens for a reason“ sagen will: Sofort Klappe halten! Das ist auch Blödsinn, nur mit mehr Buchstaben. Manche Dinge passieren einfach so, sind scheiße und haben null Lerneffekt. Darüber können wir uns gerne ein andermal unterhalten, denn ich bin mit meinem feel-all-the-feelings Erzählstrang noch nicht fertig. Denn neben der neuen Küche, hat diese neue Attitüde noch weitere Effekte. Statt sich permanent das eigene Leben zu pitchen, hat es nämlich auch etwas sehr befreiendes, Freundschaften um die komplette, bunte Bandbreite der eigenen Emotionen zu bereichern. Da stellt sich dann nämlich raus, dass es denen auch nicht anders geht und das ist ziemlich beruhigend. So habe ich letzte Woche Samstag gleich drei Freundinnen hintereinander mein Leid geklagt (wenn schon, denn schon) und am Ende hatte ich ein Potpourri an Liebe im Herzen, hilfreichen Tipps an der Hand und einen Schwipps im Kopf.
Aber ich will nicht verheimlichen, dass die ganzen neuen Emotionen ziemlich müde machen und ich doch nun öfter sehr schlechte Laune habe. Juhu! Also wirklich, denn ich finde, dass schlechte Laune, ähnlich wie Haie, einfach eine schlechte Marketing-Agentur erwischt hat. Wie oft haben sich Dinge geändert, wenn man permanent alles absolut super findet? Spoiler: Selten. Wenn ich jetzt schlechte Laune habe, frage ich mich zuerst, ob es PMS ist. Es ist oft PMS. Wenn nicht, überlege ich, ob es so unwichtig ist, dass ich es einfach aushalte, währenddessen eine Tafel Schokolade esse und nett zu mir bin oder die Ursache meines Unmutes suche und dann anspreche. Auch, wenn ich mich oft für die Schokolade entscheide, so ist letztere Variante für mich frühere Weg-Lächlerin ein völlig neues und sehr erhebendes Gefühl. In meinem Kopf fragt mich Beyoncé dann immer: Wer runs the world und ich antworte „Luise“.
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