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because your love is my love. and my love is your love. it would take an eternity to break us.

Ich weiß noch ganz genau wie ich, kurz vor dem ersten Lockdown, im Zug saß und darüber sinnierte, wie es wohl wäre, mal zwei Wochen in Quarantäne zu müssen. Natürlich ohne Infektion und Symptome, ganz klar. Aber einfach mal zwei Wochen schön allein Zuhause sein, mal auf die Pausetaste drücken und sich einkuscheln wie ein kleiner Hamster. Keine Termine oder Verpflichtungen, einfach nichts. Als ich meiner Mama davon erzählte, riet sie mir stattdessen meine Work-Life-Balance mal zu überdenken und vielleicht einfach Urlaub zu machen. Sie hatte recht, wie so oft. Da ich ja sehr an Karma glaube, hätte mich der Anruf des Gesundheitsamts kurz vor Weihnachten also eigentlich nicht zu sehr überraschen dürfen. Voraus gingen bereits 72 Stunden in selbstauferlegter Isolation, die mir schon einen kleinen Vorgeschmack gaben, wie ich mit zwei Wochen verordneter Quarantäne umgehen würde. Spoiler: Ganz und gar nicht gut. Natürlich kann man jetzt berechtigterweise kurz objektiv zusammenfassen, was mich erwarten würde: Eine großzügige, warme Wohnung mit Balkon und Badewanne, ausreichend Essen, ein schier endloses Unterhaltungsprogramm, technische Möglichkeiten, um der traditionellen Weihnachtsbaum-Schmück-Aktion in Thüringen beizuwohnen und die Gewissheit, dass ganz viele Menschen an mich denken und sich um mich kümmern würden. Wie schlimm konnte es also kommen? Ich will nicht zu viel verraten, aber meiner Psyche war unsere objektive Lage so ziemlich egal, denn sie ist ein egozentrisches und zum Drama neigendes Stück.

Es gab Momente, in denen ich nichts so sehr herbeisehnte wie einen überraschenden Kontrollbesuch des Gesundheitsamtes, um mal wieder andere Menschen zu sehen. Vermutlich hätte ich sie in meine Wohnung gezerrt, ihnen Kaffee und anschließendes Abendbrot aufgenötigt. Es sollte leider nie dazu kommen, also zum Kontrollbesuch. Kurz nachdem ich das Gespräch mit der freundlichen Dame des Gesundheitsamtes beendet hatte, nun ganz offiziell als Kontaktperson ersten Grades klassifiziert und bis Anfang Januar in meine Wohnung verwiesen worden war, machte ich eine grobe Inventur meines Vorratsschranks. Ein rascher Blick genügte und ich stellte fest, dass das Möbelstück seinem Namen keinerlei Ehre machte und ich ein sehr schlechter Hamster bin. Meine Mama fragte mich, was ich nun mit meiner gewonnenen Zeit anstellen möchte, welche Schränke ich als Erstes sortieren wolle. Da sie die beste Mama ist, erinnerte sie mich auch nicht an meine hypothetische rosarote Quarantäne-Schwärmerei von Anfang des vergangenen Jahres. Denn von Rosarot war nichts mehr übrig. Mein Kopf und Herz warteten mit so vielen verschiedenfarbigen Emotionen auf und vermischten diese aus Ermangelung an anderweitiger Beschäftigung zu einem wilden Potpourri, dessen Aussehen eher einer gut gegorenen Biotonne glich, statt einem wild fluoreszierendem Farbspektakel. In einem Moment – und das war einer von den guten, dachte ich, dass ich die Gelegenheit nutzen sollte, um nach einem anstrengendem Jahr zur Ruhe zu kommen. Kurz darauf schüttelte mich ein wütender Heulkrampf durch, weil ich so neidisch auf all diejenigen war, die Weihnachten mit ihrer Familie oder zumindest mit irgendwem verbringen würden. Darauf folgte verlässlich mein schlechtes Gewissen, weil ich mich ja glücklich schätzen konnte, gesund zu sein. Diesen „Teufelskreis of emotional shit“ durchlebte ich gern mehrmals täglich, ohne irgendwie fähig zu sein, ihn zu durchbrechen. Was die eigene Resilienz betrifft, habe ich noch ein bisschen Luft nach oben, das gebe ich offen zu.

Wohlwissend dass ich nicht nur einen, sondern sogar zwei negative Tests vorweisen konnte, spürte ich trotzdem mal ganz kurz in mich hinein, denn irgendwas muss man ja mit dieser ganzen Zeit anstellen und entdeckte hier und dort vielerlei Symptome. Und so verbrachte ich die erste Zeit kurzatmig und fiebrig auf dem Sofa, eingehüllt von einer dicken, sehr schweren Wolldecke aus Lethargie. Neben mir saß die Gewissheit einen Hang zur Hypochondrie zu haben und wir guckten gemeinsam Netflix leer. Und dann kam es schließlich: Das Weihnachtsfest. Da Plan A aus Vernunft bereits vor einigen Wochen abgewählt wurde, Plan B aus gegebenem Anlass ins Wasser fiel, wurde eben Plan C geschmiedet, denn das Alphabet hat ja bekanntlich mehr als nur zwei Buchstaben. Dieser beinhaltete jede Menge Sekt, insgesamt drei Outfitwechsel, am Tisch sitzende Kuscheltiere, Face-Time-Dinner mit meinen Lieblingsmenschen und dem Beweis, dass ein Schmortopf nicht immer ausreicht, um ein leckeres Gericht zu zaubern. Auf Instagram sah es lustig aus, den Heiligabend mit Plüschtieren zu verbringen und der familiären Bescherung per Laptop beizuwohnen, aber sobald ich auf den kleinen roten Hörer klickte, mich aus dem thüringischen Wohnzimmer verabschiedete und mich allein neben meinem Weihnachtsbaum wiederfand, wurde es erschreckend still und furchtbar einsam. Auch, wenn ich im letzten Jahr in Sachen Selbstliebe richtig was gelernt habe und ganz wunderbar mit mir alleine sein kann, so hätte ich diese Zeit ganz gern ohne mich verbracht, zumindest mal einen Abend. Da eine multiple Persönlichkeit allerdings und zum Glück nicht zu den Facetten meiner Persönlichkeitsstruktur gehört, war eine Beziehungspause von mir dann doch nicht möglich.

Wie ich es dann doch geschafft habe, die restlichen Tage von 2020, meinen Geburtstag und ein paar Tage des neuen Jahres ohne Nervenzusammenbruch zu überstehen – ohne sogar einen einzigen Schrank aufzuräumen? The Power of Love, Peeps. Ich würde diese Quarantäne-Erfahrung nur mit einem halben, nicht lieb gemeinten, Stern bewerten und das auch nur wegen dem Tross an Cheerleadern, die mich durch diese 14 Tage gejubelt haben. Ohne meine Lieblingsmenschen würde ich jetzt mit einer komisch geknoteten Jacke in Altscherbitz sitzen, so viel ist sicher. Sie haben Einkäufe vor meiner Tür abgestellt. Sie haben mich bekocht, damit ich nicht nur Nudeln und Pesto essen muss. Ich denke noch oft an dieses Gulasch zurück und an diesen einen Sonntag, der von einem Curry gerettet wurde. Sie haben zugehört, Trost und Mut gespendet, jeden Tag. Sie wurden nicht müde anzurufen, obwohl ich nichts zu erzählen hatte. Sie haben quasi stündlich meine Vitalwerte abgefragt. Sie haben lustige Ratespiele mit mir gespielt. Sie haben den Laptop so ausgerichtet, dass ich die beste Sicht auf den Weihnachtsbaum habe. Sie haben Päckchen geschickt. Sie haben Lieder gesungen und getanzt. Sie haben mir den schönsten aller Geburtstage beschert. Sie haben es geschafft, dass ich aus dieser Zeit nur zwei Gefühle als Erinnerung mitnehme: Liebe und Dankbarkeit.

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