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auf dem weg näher zu dir. gehe ich durch eine tür, die den umriss von uns beiden hat.

Es gibt für alles Anleitungen, Wegweiser und Serviervorschläge. Es wird mir erklärt, dass ich die Folie von der TK-Pizza entfernen sollte, bevor ich dieses Wunderwerk an Convenience in den Ofen schiebe. Nicht, dass sich eine solche Situation besonders oft in meiner Küche zutragen wurde. Da tragen sich nämlich eher selten Dinge zu. Dass ich nicht fahren sollte, wenn ich mir eine Flasche Merlot reingestellt hab. Mach ich auch nicht, denn ich trinke selten Rotwein. Dass Klöße besser schmecken, wenn meine Mama sie vorher kocht. Ihr muss man das natürlich nicht erzählen. Durch den Dschungel der Kulinarik wird man also gut gelotst und spätestens seit „Pretty Woman“ weiß man wie man Schnecken besser nicht isst und für welches Gericht welche Gabel zu benutzen ist. Meine Frage ist, wieso es keine Serviervorschläge fürs Zwischenmenschliche gibt? Kommt mir jetzt nicht mit Knigge. Da steht drin, dass man öffentlich eher darauf verzichten sollte zu pupsen. Danke für nichts, Freiherr Adolph von K. Eigentlich dachte ich, ausgestattet mit einem guten Maß an Empathie und Feingefühl, mich ganz gut zu machen im Meer, nein, Ozean menschlicher Interaktion, aber es gibt Situationen in denen ich mir vorkomme wie eine hilflose Schwimmanfängerin. Situationen bei denen ich denke, dass der Tag nie kommen wird an dem ich meine Mama bitte, mir mein bestandenes Seepferdchen auf den Badeanzug zu nähen.

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Beweisstück Nummer eins: Lippenstift – genau mein Ding. Ich gehe nie ohne aus dem Haus und schmiere mit Begeisterung sämtliche Trinkgefäße damit voll und komme mir sehr ladylike vor, wenn ich meinen kleinen Handspiegel zücke, um das Rot aufzufrischen. Noch dazu bin ich bemüht meinen Mitmenschen stets freundlich zu begegnen. Diese Kombination aus strahlendem Lächeln und Lippenstift ist mir letztlich zum Verhängnis geworden. Strahlend bedankte ich mich bei der Kassiererin und wünschte einen tollen Abend. Ihr Blick wirkte leicht irritiert. Als ich zuhause ankam, verstand ich weshalb. Ich sah aus als sei ich die Schwester vom Joker, die kürzlich ein Reh gerissen hat. Wieso hat sie nichts gesagt, fragte ich mich. Seit dieser Situation informiere ich meine Gegenüber bei Essensresten, anderen Resten und sonstigen Dingen. Ich denke auch Knigge hätte nichts dagegen. Mit Beweisstück Nummer zwei möchte ich gar nicht erst anfangen: die ganze Du-Sie-Dramatik an. Manchmal grenzt es ja an zerebrales Boot Camp, so um Dinge zu bitten oder eine Konversation so am Laufen zu halten, dass man bloß keine Anrede verwendet. Brauch ich dann allerdings auch kein Sodoku mehr, um den Schwamm im Kopf fit zu halten. Hauptbeweisstück: Seit einiger Zeit bin ich begeisterte Leipzig-Berlin-Pendlerin und langsam kenne ich mich aus im Pendler-Business. Dachte ich. But I broke the golden rule. Glaube ich. Ich habe bislang gelernt, dass wir Touristen verachten und finden, dass sich der Wein im Bordbistro durch ein solides Preis-Geschmacks-Verhältnis auszeichnet. Dass wir nicht anfangen hektisch unseren Kram zusammenzusuchen, sobald die Ansage ertönt, dass der Zug gleich den Zielbahnhof erreicht.

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Wir sind also eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich klar von den Leberwurstbrot-und-Gemüsestifte-Mitbringenden und Überseekoffer-durch-die-Gänge-Zerrenden abgrenzt. Und so dachte ich, in der elitären Gang der Business-Lounge-Besucher einen Gefährten gefunden zu haben. Wir begegneten uns morgens, abends, morgens, abends und wieder morgens. Am Abend dann sagte ich “Hallo”. In seinem Blick die blanke Panik, als hätte ich ihm angeboten mich mal eben auf die Bordtoilette zu begleiten. For the record: dies hatte ich aus mehreren Gründen nicht vor. Aber wieder was gelernt: wir verbringen ungefähr 10 Stunden die Woche gemeinsam, grüßen dürfen wir uns allerdings auf gar keinen Fall. Verstanden. Danach sah ich ihn mindestens eine Woche lang nicht. Vermutlich hat er gekündigt. Oder ist auf Flixbus umgestiegen.

Bei unserem Wiedersehen bzw. Wiederignorieren war ich so verunsichert, dass ich einfach durch ihn hindurch gestarrt habe. Morgens, abends, morgens und abends. Am Morgen bemerkte ich dann den suchenden Blick und entgegnete mit einem leichten, ganz dezenten Kopfnicken. Das scheue Reh zeigte ein schiefes, kleines Lächeln. Bei befolgten Anleitungen und Serviervorschlägen kennt man das Ende. Noch bevor man die Pizza aus der Verpackung genommen hat, bevor die Flasche Rotwein geöffnet ist. Die Pizza wird dem Bild auf der Verpackung nicht ähneln, der Rotwein wird einen Schädel machen. Es gibt wenig Spielraum für Überraschungen. Und vielleicht ist auch gerade diese Ungewissheit das Spannende an dem Miteinander und manchmal Aneinander vorbei. Da gibt es ganz viel Spiel und Raum. Ende der Beweisführung.

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