Gäbe es den Studiengang „Emotional Engineering“ – und ich meine ganz klar nicht Psychologie, hätte ich nicht nur einen Doktortitel, sondern würde auch eine eine Professur mein Eigen nennen. Ich würde als Koryphäe meines Gebiets durch die Lande tingeln und mein Wissen bereitwillig teilen. Vielleicht würde sogar eine schöne Statue meines Abbildes meine Alma Mater zieren, denn wir hätten einander weitaus mehr zu verdanken als meine pünktliche Zahlung des Semesterbeitrages. Mein Steckenpferd wäre das Feld der Persönlichkeitsanalyse und Optimierung – mit mir als einzige und liebste Probandin. Dieses Feld beackere ich seit einigen Jahren mit Hingabe und Begeisterung und gebe mich keinesfalls mit thematischen Monokulturen zufrieden. Denn „Abwechslung is key“, wenn die Dinge Bestand haben sollen. Wie ein Trüffelschwein wittere ich Fährten, spüre den Stellschrauben meines Inneren nach, zücke meinen Schraubenschlüssel und dann wird justiert. Ich tendiere dazu, in allem ein Zeichen zu sehen und es ist vermutlich nur meiner Abneigung flotter Sprüche an Wänden zu verdanken, dass “Everything happens for a reason” nicht als Wandtattoo irgendwo – meiner Meinung nach wäre einzig und allein das Bad der passende Ort – zu finden ist. Nein Luise, es ist kein verdammtes Zeichen für irgendwas, sondern schlichte Biologie, dass der Tannenbaum, den du eigentlich nicht alleine, sondern mit deinem Freund irgendwo einpflanzen und regelmäßig besuchen wolltest, nun stirbt, weil er keine richtigen Wurzeln hatte. Kauf dir das nächste Mal einfach einen stinknormalen Baum, verdammte Axt.
Letzte Woche war es dann soweit, denn ich habe bei mir gekündigt. Ich stelle meine Forschungen ein, vorerst natürlich. Wie immer gab es auch an dieser Stelle ein Zeichen, ein Ereignis, einen spezifischen Grund, denn ohne wäre die Kündigung ja gesetzeswidrig, hätte keinen Bestand und einen Rechtsstreit mit mir selbst möchte ich unbedingt vermeiden. Der schönen Tradition folgend, dass ich meine Urlaube auch immer ein bisschen krank verbringe, fand ich mich kürzlich in der Notaufnahme wieder. Grund hierfür war mein „Frenemy Neurodermitis“, die sich nach 25 Jahren dachte, spontan mal wieder vorbeizuschauen. Routiniert in der eigenen Anamnese hatte ich ihre Beweggründe relativ schnell erfasst und einen individuellen Behandlungsplan erstellt. Wochenlang hegte und pflegte ich nicht nur meine Haut, sondern auch mein Inneres, denn unsere Haut ist schließlich der Spiegel der Seele, richtig? Und so putzte, polierte und pamperte ich den Spiegel und mich. Noch mehr Spaziergänge und Sport, weniger Netflix und Nudeln, mehr Bücher und Brokkoli. Es gab Zeiten, da wurde die ausgebreitete und nicht, wie sonst in der Ecke einstaubende Yogamatte zu einem festen Bestandteil meiner Wohnungseinrichtung. Ich war beides zugleich, das vorbildlichste Forschungsobjekt und die engagierteste Forscherin. Täglich, naja vielleicht auch stündlich begutachtete ich meine Haut, um die Fortschritte zu überwachen. Wir lagen total im eigens aufgestellten Plan.
Ein anderer weiser Spruch, bei dem ich Gänsehaut der unangenehmen Sorte bekomme, lautet ja, dass „das Leben passiert während man andere Pläne macht“ und so stellte ich eines morgens fest, dass augenscheinlich einiges passiert war – und das plötzlich über Nacht. Wenn meine Haut nun wirklich der Spiegel zu meiner Seele ist, dann war sie ein ziemliches hässliches, aufgequollenes, nässendes Etwas. Und während das Kortison meine Zellen flutete, beschloss ich die weiße Flagge zu hissen. Ich packte die Lupe und den Schraubenschlüssel weg. Offensichtlich ist es wie damals in der Schule bei diesen Sachaufgaben: Luise hat einen Hasen namens Kevin, isst gerne Käsekuchen und mag Dinos. Die Frage: Wie alt ist Hank? Die Antwort lautet dann: Blau oder Schimmelkäse. Ich verstehe weder Frage, noch Antwort und kann den Zusammenhang zwischen beidem nicht herstellen, so sehr ich mich auch bemühe. Aber das tue ich nicht mehr. Seitdem liege ich oft bewegungslos auf meiner Yogamatte, lasse lieber die passionierte Youtuberin all die Übungen machen und zähle stattdessen die Staubflusen unter meinem Sofa. Den Staubsauger nehme ich danach aber dennoch nur selten in die Hand. Stattdessen sitze ich oft mit Kaffee am Fenster, beobachte das Geschehen auf der Straße und bin nur ganz kurz davor unschickliche Dinge aus dem Fenster zu brüllen. Ich esse manchmal eine komplette Tafel Schokolade wie ein Brot und freue mich, wenn Netflix fragt, ob ich noch anwesend bin, denn das ist ziemlich aufmerksam. Manchmal frage ich mich das dann auch selber, gehe fix zum Spiegel, werfe einen kurzen Blick zu meinen Wangen, streichle auf dem Rückweg zum Sofa meine Pflanzen und klicke auf “Fortfahren”. Es tut gut einfach nur der Dinge zu verharren und dem Selbstoptimierungs-Drang nicht zu unterliegen. Meiner Haut, meinen Pflanzen und mir bekommt die Ruhe ganz gut – vielleicht, nur vielleicht, ist auch „Gelassenheit key“.
[Fotos by Robert Strehler Fotografie.]
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