Viele Menschen, Frauen allerdings im besonderen, blicken ja mit Sorge auf das eigene Älterwerden. Die feiern dann, augenzwinkernd, zum fünften Mal ihren 27. Geburtstag oder bestehen darauf, dass 30 das neue 20 ist. Oder 40 das neue 30. Oder 50 das neue 40 und so weiter. Auch wenn mir das logische Prinzip dahinter einleuchtet, so verstehe ich den Sinn nicht, denn ich wünsche mir nichts sehnlicher als das Kapitel meiner 20er hinter mir zu lassen. Hab ich durchlebt, diese zehn Jahre, brauch ich bitte nicht nochmal. Haken dran und weiter gehts. Während andere die Zeit, in der das eigene Alter noch mit einer zwei begonnen hat, zu verklären und lobzupreisen, tendiere ich eher dazu, die Jahre zwischen 2007 und 2017 vermutlich ein bisschen düsterer zu malen, als sie tatsächlich waren. Aber in meiner Erinnerung lief das folgendermaßen: nach meinem Abi verkaufte ich meinen schwarzen Ford Ka, weil ich das Landleben gegen die große Stadt eintauschte und in Leipzig eher eine Waschmaschine und Möbel brauchte als eine tiefergelegte Rennschüssel mit röhrendem Auspuff (sorry, aber Tuning war „the latest shit“ auf dem Land).
Es folgten unzählige Umzüge quer durch Leipzigs Stadtteile, weil ich mich nie richtig Zuhause fühlte. Das kann unter anderem auch an den zweifelhaften Vorlieben und geschmacklicher Verwirrung hinsichtlich der Wandgestaltung gelegen haben (Stichwort: Pink in Optik Seidenglanz), aber nunja. Will sagen: ich kam einfach nie so richtig an. Weder in der Stadt, noch im Studium und am allerwenigsten wenigsten bei mir. Ich scheiterte überall, aber akademisch so richtig. Meine Freunde in der Uni zogen an mir vorbei und ich fragte mich was mit diesem blonden, langhaarigen Strebermädchen, das ich einst war, passiert war und wieso ich nun mit rosa Playmobilfrisur in der Albertina saß und zum dritten Mal für eine Prüfung aus der ersten Hälfte meines Studiums lernte. Eine Antwort fand ich nie, soviel sei gesagt. Meine Rettung waren meine Nebenjobs, denen ich viel mehr Bedeutung beimaß, als es für meinen akademischen Erfolg zuträglich war. Hier feierte ich Siege als Lieblingsaushilfe, Lieblingspraktikantin, Lieblingselternzeitvertretung und ahnte, dass ich in meiner Gesamtbetrachtung vermutlich mehr Zeit in einem Arbeitsverhältnis verbringen würde als an der Uni. Das tröstete und spornte mich an, dieses Studium endlich hinter mir zu lassen. Und dann “stellte ich die Weichen”, um meine liebste Freundin M. zu zitieren. Bei jeder Veränderung, schmerzhaft oder nicht, predigte sie mir diesen Satz, wie ein Mantra. Oftmals hasste ich sie dafür, weil sie anscheinend so viel mehr sah als ich es tat. Aber: sie hatte recht. Während sich meine frühen 20er anfühlten wie ein Pullover der viel zu klein ist, aussieht wie Linsensuppe und dazu noch kratzt, hatte ich Ende 20 endlich die Kraft dieses furchtbare Kleidungsstück, gestrickt aus meinen absurden Erwartungen und Selbsthass abzulegen und mit dem Einzug in den Club der 30 in etwas anderes, viel facettenreicheres einzutauschen. Was ich jetzt trage?
Eine Mischung aus schillernder Rüstung, bodenlangem, fließendem Kleid, gemütlich samtigen Morgenmantel und flatterndem Cape. Manchmal kratzt hier und dort noch ein einzelner Faden, das geb ich zu, aber die meiste Zeit schaue ich in den Spiegel und nehme die Frau, die ich dort sehe, vollen Herzens an. Ich sehe mich in meiner Gesamtheit aus so vielen Stärken, Schwächen, komischen Macken und liebe meistens all diese Dinge an mir. Diesen Satz zu denken, auszusprechen, geschweige denn irgendwo bleibend nieder zu schreiben, wäre der 20-jährigen Luise nie in den Sinn gekommen. Vielleicht habe ich genug Weichen gestellt, habe ausreichend Zeit mit Selbsthass verbracht und schließlich gemerkt, dass mich das nicht weiterbringt. Vielleicht habe ich zu oft den Kalenderspruch gelesen, dass die wichtigste Beziehung im Leben, die zu sich selbst ist. Vielleicht war ich letzten Endes gezwungen, den Keller, den ich die letzten Jahre einfach bis oben hin zugemüllt habe, mal richtig auszumisten, aufzuräumen und zu renovieren. Der Prozess war schmerzhaft, aber es hat sich gelohnt. Ist jetzt ein 1A-Partykeller geworden. Aber es gibt natürlich auch Schattenseiten bei all dem Sonnenschein: der 31. Geburtstag bescherte mir Migräne, die mich alle paar Monate niederstreckt. Der 32. Ehrentag brachte dann Heuschnupfen. Vermutlich werde ich ab 33 dann an Skorbut erkranken, meinen Kochkünsten nach zu urteilen. Späte ausgedehnte Abendessen mit Alkohol führen bereits jetzt zu schlaflosen Nächten und zeigen mir die körperlichen Grenzen meiner selbst auf, um Kollege T. zu zitieren. Aber, was auch immer kommen mag, ich freue mich drauf. Bring it on, nächster Geburtstag!
[Brillenkette by Skadie. Chains]
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