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told me that you loved me, you’re just talking to yourself i don’t wanna know.

Es ist mitten im November und der späte Herbst will sich mit seinen zweistelligen Temperaturen noch immer nicht verabschieden. Der Boden im Auwald ist schlammig, feucht und von gelbem Laub bedeckt. Unsere Schuhsohlen hinterlassen tiefe Spuren. Gar nicht so schlecht, so ein milder November, denke ich mir, wohlwissend, dass das kein gutes Ohmen für den Klimawandel sein kann. Das Ziel unserer kleinen Waldwanderung liegt tief versteckt hinter dem Gelben Brückchen an der Weißen Elster. Was wie eine Reise in den Märchenwald klingt, entpuppt sich tatsächlich als kleines Eldorado, denn auf einem urigen Gartengrundstück empfängt uns André Soudah, besser bekannt als „Bienenandré“. In Windeseile schlüpft André in die typische, weiße Imkerjacke und gewährt uns einen Blick in die Beuten. Wir lernen schnell dazu. Denn die bunten Holzkisten, die Behausung der Bienen, nennt man „Beute“. Es riecht nach verbranntem Holz aus dem Bienenraucher und das Summen wird wieder leiser. Ein wenig sorgenvoll blickt André zu seinem Bienenvolk, die ungewöhnlich aktiv für die Jahreszeit sind und sich auf Futtersuche begeben. Doch trotz ihrer Geschäftigkeit strahlen die kleinen puscheligen Bienen eine unglaubliche Ruhe aus. Ein paar Schritte näher trau ich mich an sie heran. Wer Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt, wird von den Bienen mit dieser auch belohnt. Lautes Reden und Hektik stört sie. Wie von ganz allein beruhigt uns die Anwesenheit der kleinen gestreiften Wesen. Ein Exemplar verirrt sich sogar auf meine Hand und erkundet in aller Ruhe die Landebahn.

In dieser Umgebung bleibt genügend Zeit, um den Imker aus Leipzig und seine Leidenschaft für die Bienenwelt besser kennenzulernen. Er nimmt uns auf seine Reise zum BNE Imker und Bienenpädagoge mit. Von der Uni über die Schule bis hin zur Imkerei – André hat seinen Weg gefunden, der Sinn, Natur und Gemeinschaft verbindet. Als Bienenpädagoge zeigt er, dass Imkerei mehr ist als Honigproduktion. Es geht um Tierwohl, den Schutz der Natur und darum, Menschen jeden Alters für die Bedeutung von Bienen zu begeistern. Mit innovativen Ansätzen, Projekten an Schulen und nachhaltigen Kooperationen mit Unternehmen setzt André ein Zeichen: Eine andere Art der Imkerei ist möglich – und eine nachhaltigere Welt liegt in unserer Hand. Doch woher die Passion kam?

„In all den Jahren nach der Uni hatte ich eine völlig andere Vorstellung von der Welt; ich war von ganz anderen Eindrücken geprägt, die ich reproduziert habe. Daran empfand ich allerdings nach und nach keine Freude mehr. Eines Tages fragte ich mich: Was mache ich hier eigentlich? Ich bin mit der Art und Weise, wie wir mit unserer Umwelt umgehen, nicht einverstanden. Ich glaube fest daran, dass ein klimaneutrales Wirtschaften möglich ist. Insofern habe ich mein Leben noch einmal kräftig umgekrempelt und bin ein Wagnis eingegangen. Um etwas Sinnvolleres zu machen, bin ich dann nochmals an die Uni und dann als Lehrer ans Gymnasium gegangen – das war cool. Der vorgegebene Rahmen dort ist sehr starr, im Grunde ein Top-down-System, das Kindern frühzeitig den Leistungsgedanken vermittelt. Mit allen Vor- aber auch Nachteilen für unsere Gesellschaft. In dieser Zeit schenkte mir meine Frau einen Imkerkurs. Ich bin dann regelmäßig mit einem Hobby-Imker aus ihrer damaligen WG mitgegangen und habe von ihm die Grundlagen erlernt. Das Thema hat mich sofort begeistert und so entschied ich mich für eine fundierte Ausbildung beim Sächsischen Imkerverband. Ich wollte etwas Sinnvolles machen, das gleichzeitig finanziell tragfähig ist.

Deshalb bezeichne ich mich auch als BNE-Imker. (BNE-Angebote stehen für Bildung für nachhaltige Entwicklung, die ökologisches, ökonomisches und soziales Handeln fördert und den Schulalltag bereichert.) Inzwischen sogar als Bienenpädagoge. Ich interessiere mich nicht für die klassische, konventionelle Imkerei, sondern möchte das Thema auf ein neues Level heben. Mir geht es nicht darum, große Mengen Honig zu produzieren. Ich möchte Menschen vermitteln, warum Bienen und andere Insekten so wichtig sind – und weshalb es sinnvoll ist, die Umwelt zu schützen. Das ist meine Passion. In gewisser Weise bin ich dabei auch Lehrer. Ich startete an der Montessori-Schule meiner Frau, wechselte später von Schule zu Schule und bot im Sommer Imkerkurse für Schulklassen an – alles zu fairen Preisen. Damit das finanziell aufgeht, arbeite ich in Leipzig mit ausgewählten Unternehmen zusammen. Dort betreue ich Bienenvölker oder Wildbienen auf ihren Betriebs-, Firmen- oder Werksgeländen, baue Echsenhabitate und unterstütze so die Nachhaltigkeitsbeauftragten bei der Erreichung ihrer Ziele. Mit den Einnahmen subventioniere ich die Angebote für Schulen – und vom Rest lebe ich.“

Was bedeutet es genau, wenn die Imkerei auf ein neues Level gehoben werden soll?

„Ich zeige der Imkerwelt, dass es nicht um die Maximierung von Honig gehen sollte. Es bringt nichts, wenn private Hobby-Imker*innen ein Glas Honig für 4,50 Euro anbieten – das wird weder den Bienen, ihrer Gesundheit, noch dem Produkt und der damit verbundenen Arbeit gerecht. Wo wollen wir mit der Imkerei eigentlich hin? Wie stellen wir uns als Branche der berechtigten Kritik? Da sage ich: Stopp, es gibt andere Möglichkeiten, unser Handwerk zu verstehen – auch abseits des Honigs. Ich sehe mich als Bindeglied zwischen Imkerei und Natur. Genau da liegt der Schlüssel! Diese Nische habe ich für mich besetzt. Mir geht es nicht darum, 40 oder 50 Unternehmen zu akquirieren, die mir privat einfach nur Umsatz bringen und den letzten Tropfen Honig aus einem Bienenvolk zu bekommen. Stattdessen suche ich lokale Unternehmen, hinter denen ich persönlich stehe, weil sie ebenfalls etwas verändern wollen. Das ist der Unterschied. Ich möchte zudem bei meiner Arbeit das Tierwohl im Auge haben. Es gibt berechtigte Kritik an der Branche, dass Imker*innen das Tierwohl nicht ausreichend im Blick haben, übermäßig Honig ernten und zudem Pollen entnehmen, die die Ammenbienen für die Fütterung des Nachwuchses so dringend brauchen. In meinen Lehrgängen vermittle ich ein anderes Bild von Imker*innen. Aus meiner Sicht ist ein Imker ein Naturkundler, der verstehen muss, wie der Mikrokosmos funktioniert, in dem die Beuten stehen. Dabei sprechen wir von globalen Zusammenhängen.

Ein Stichwort hierzu: Viele Sonnenblumenfelder, die heute angebaut werden, enthalten kaum noch Nektar. Es handelt sich um Ölsaaten, die gezielt gezüchtet wurden. Das Gleiche gilt für Blühstreifen – viele Saaten werden von den viel wichtigeren Wildbienen gar nicht genutzt. (Quelle NABU: Diese Blühstreifen dürfen bei einer Aussaat bis spätestens 15. Mai schon ab dem 1. September wieder umgepflügt werden. So steht nur für drei Monate ein ungestörter Pflanzenbestand zur Verfügung.) Das bedeutet, Wildbienen finden nur kurzzeitig und nicht dauerhaft Nahrung. Viele Wildbienen legen ihre Eier zudem in Böden oder in markhaltige Stängel wie zum Beispiel in die von Königskerzen. Sobald diese Böden umgegraben werden, ist der Nachwuchs zerstört. Eine andere Art des Imkerns ist möglich. Ich rate allen Honigfans, genau darauf zu achten, wo ihr Honig herkommt, ob die Bienen des Imkers an landwirtschaftlichen Nutzflächen wie zum Beispiel an Rapsfeldern stehen. Auf diesen Flächen kommt es weiterhin zu einem hohen Einsatz von Pestiziden, die sich dann auch im Honig wiederfinden und nachweislich leider auch auf das Nervensystem der Bienen wirken. Rapshonig galt unter Imkern lange als minderwertig, heutzutage ist er eine Massentracht. Als Imker würde ich selbst nie Rapshonig essen. Stadthonig ist dagegen frei von Belastungen und hat durch die Mischung ein viel runderes Bouquet.“

„Ich sehe mich als Bindeglied zwischen Imkerei und Natur. Genau da liegt der Schlüssel!“

In Anbetracht der klimatischen Veränderungen: Wie bereitet sich die Imkerei auf die neuen Herausforderungen vor, und welche Maßnahmen sind notwendig, um Bienen nachhaltig zu schützen?

„Wir haben es an der Karl-Heine-Straße gesehen: Die Magnolien, die dort stehen, haben Anfang September ein zweites Mal geblüht; es ist zu mild. Das zeigt, dass sich die Natur verändert. Wandel gab es zwar schon immer, aber eben nicht in dieser Geschwindigkeit und die existenzielle Dimension des aktuellen Klimawandels ist für viele Regionen auf der Welt gefährlich. Wir leben in Deutschland diesbezüglich auf einer Insel der Glückseligen, andere Länder trifft der Klimawandel bereits sehr hart. Wanderungsbewegungen von Menschen sind daher vorprogrammiert. Wenn es beispielsweise Ende November bei 15 °C bliebe, aber nichts mehr blüht, müsste auch ich die Bienen ständig zufüttern. Das ist in der konventionellen Imkerei, die auf Honigmaximierung setzt, Standard. In der ökologischen oder auch wesensgemäßen Imkerei, wie ich sie betreibe, bleibt der Großteil des Honigs dagegen bei den Bienen. In beiden Modellen würden allerdings die Kosten und damit der Preis steigen. Ich wünsche mir, dass wir, so unterschiedliche Positionen wir einnehmen, verstehen, dass unser CO₂-Ausstoß pro Kopf in Deutschland einfach zu hoch ist. Wenn ich einen kleinen Beitrag leisten kann – etwa indem ich frühzeitig bei Kindern anfange, ihnen die Zusammenhänge in der Natur zu vermitteln, und sie dann auch noch für das landwirtschaftliche Handwerk der Imkerei begeistere –, dann habe ich schon viel erreicht. Zudem möchte ich Hoffnung vermitteln. Das ist meine Motivation. Warum ich das mache? Weil es mich erfüllt, mich erdet und ich Freude in die Gesichter von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bringen kann, wenn ich ihnen das Wunder ‚Bienen‘ näherbringen kann.“

Wir sind begeistert und mittlerweile völlig tiefenentspannt! Zum Abschluss bekommen wir noch ein Glas Auwald-Honig in die Hand gedrückt und winken André am Gartenzaun zur Verabschiedung. Vielleicht braucht André ja in Zukunft nochmal eine Praktikantin?

André Soudah
Privatimkerei Leipzig
@
bienenandre

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