Die Sonne scheint durch die großen Altbaufenster und wärmt unsere Gesichter. Es riecht nach Frühling und frischem Kaffee in Julias Wohnzimmer. Eigentlich wollten wir über ihr Label Kilian Keramik, ihre Selbstständigkeit und ein wenig über die Leipziger Cafészene plaudern – eine Welt, in der Julia seit vielen Jahren zu Hause ist und hinter den großen Siebträgermaschinen ein bekanntes Gesicht. Doch stattdessen verweilen wir lange in Gedanken an die Menschen, die uns so viel bedeuten und nicht mehr unter uns sind. Die, die der Ursprung von allem sind, die uns mit Sinn, Liebe und Inspiration geprägt haben. Um diesen besonderen Menschen einen würdigen, individuellen und vor allem persönlichen Abschied zu ermöglichen, braucht es mehr als ein Standardprogramm. Diesen sehnlichen Wunsch wollte sich Julia erfüllen und ihrer Mama eine handgetöpferte Urne schenken. Sie fand einen Berliner Floristen, der Urnenrohlinge aus Keramik herstellte, bestellte sich einen und gestaltete ihn mit Serviettentechnik in hellen, zarten Tönen. „Diesen Prozess empfand ich als eine sehr schöne Art der Bewältigung und mochte es, so nah bei dem anderen zu sein“, erinnert sich Julia. Das Töpfern ließ sie nicht mehr los. In Brandenburg lernte sie bei einer Künstlerin und Keramikerin, eigene Urnenrohlinge herzustellen, und kam so zum ersten Mal bewusst mit dem Material in Berührung. Innerhalb einer Woche brachte sie Julia verschiedene Techniken der handgemachten Keramik bei – und vor allem das Herstellen von Negativformen für Schmuckurnen.



„Ich hatte eigentlich keine Ahnung von Töpfern aber dachte mir dann: Ich kann doch auch kleine Dinge herstellen!“
Zurück in Leipzig stand Julia vor ihrer ersten großen Herausforderung: Die Rohlinge waren zu groß und damit nicht wirtschaftlich für nur einen Brennvorgang im Ofen. Der Plan ging nicht auf. „Ich war total deprimiert. Ich hatte das Material da, aber meine Idee kam nicht weiter.“ Das Projekt lag bis 2020 auf Eis – oder besser gesagt im Keller. „Ich hatte eigentlich keine Ahnung vom Töpfern, aber dann dachte ich mir: Ich kann doch auch kleine Dinge herstellen“, lacht Julia. Während der Corona-Pandemie begann sie, kleinere Keramikstücke wie Teller, Tassen, Kerzenhalter und Schüsseln per Hand aufzubauen. Nach und nach brachte sie sich alles selbst bei. Während sie vermutlich gerade eine ihrer ersten Tassen formte, hatte die gelernte Gestalterin für visuelles Marketing bereits ein Logo, die Verpackung und die Werbestrategie vor Augen. Plan Z und Y waren klar – noch bevor Schritt B gemacht war! Über ihre ersten Tassen-Entwürfe muss sie heute lachen. Doch Julia überlegte nicht lang und legte sich im vergangenen Jahr eine Töpferscheibe zu. Bei ihrer lieben Freundin Lisa von Iuni Ceramics saß sie das erste Mal an der Drehscheibe und merkte schnell, dass sich die Materialkunde der vergangenen Jahre auszahlte. „Ab dem Moment habe ich mich hingesetzt und gedreht. Ich habe bestimmt über 200 Teile gedreht und nicht ein einziges gebrannt…“, sagt sie rückblickend.
Die zarten, handgefertigten Stücke in cremigen und pastelligen Farben fanden schnell Anklang und verkauften sich wunderbar in Leipziger Cafés. So erblickte Kilian Keramik im September 2022 offiziell das Licht der Welt – mit den Worten: „Ton ist ein natürliches, organisches Material, das ich mit meinen Händen in verschiedene Formen und Objekte verwandle. Ich liebe es, den Ton zwischen meinen Fingern zu spüren, Objekte zu formen und die fertig gebrannten Stücke in den Händen zu halten.“ Und die Leipziger*innen liebten es auch! Seitdem ist viel passiert. Julia hat in der Keramik und der Selbstständigkeit ihr neues Zuhause gefunden – vielleicht auch ein Stück weit Heilung und eine neue Freiheit. „Töpfern ist mein Yoga. Das macht mir unglaublich viel Freude!“, sagt sie, während wir in die Küche wechseln – dem eigentlichen Ort des Geschehens. Hier entstehen nicht nur ihre Kunstwerke, sondern auch Begegnungen: Beim Open Studio kommen Kreative zusammen, und bei Formaten wie Clay & Coffee oder Weekend Handbuilt Workshops wird das Töpfern im Handaufbau zum gemeinschaftlichen Erlebnis. Was Julia besonders wichtig ist? Einen vertrauensvollen und sicheren Ort mit guter Energie zu schaffen – schließlich sitzen die Teilnehmer*innen nicht nur wortwörtlich in ihrem Wohnzimmer. Der Raum soll auch bewusst vorerst genauso so klein bleiben. Der Rest wird die Zukunft zeigen…
„Töpfern ist mein Yoga!“
Mittlerweile experimentiert Julia nicht nur mit Farben, Glasuren und Formen, sondern auch mit Tönen. Im Format Clay & Sound lädt sie gemeinsam mit Anika Winkler zu einer besonderen Auszeit ein, bei der das Erleben und Fühlen im Mittelpunkt steht. Während man unter Anleitung sein eigenes Keramikgefäß töpfert, sorgt ein Sound Bath für tiefe Entspannung. Die Idee entstand zufällig, als sich die beiden bei einem Klangbad kennenlernten und entdeckten, dass sich Ton nicht nur haptisch, sondern auch klanglich erleben lässt. Diese Verbindung verleiht dem Format eine besondere Ruhe, Intuition und Kraft. All die Dinge, die Julia auch in den vergangenen Jahren mit den Händen voller Ton gelernt hat – und daraus hat sie etwas Wunderbares erschaffen. Wir umarmen uns lang zur Verabschiedung, weil wir wissen, dass wir in den vergangenen knapp zwei Stunden mehr geteilt haben als Keramik und Selbstständigkeit. Es ging um Erinnerungen, um Verluste und um all die Wege, die uns dorthin geführt haben, wo wir heute stehen. Julia hat nicht nur eine Marke aufgebaut, sondern einen Ort geschaffen – für Kreativität, Gemeinschaft und das bewusste Erleben des Moments.

Kilian Keramik
Open Studio, Dienstag 17.00 – 20.00 Uhr
Gottschedstraße, Leipzig
Gutscheine & Events
@kiliankeramik
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.