Würde mir eine Freundin meine Geschichte mit dir erzählen, würde ich ihr raten: “Nimm dein Herz und renn. Am besten schnell.” Seit einiger Zeit sage ich mir das jedoch selbst, bete es mir mantra-mäßig vor und befolge endlich meine eigenen Ratschläge, so gut es geht. Ich habe mir das bestimmt nicht ausgesucht. Mich in dich zu verlieben, erneut, so viele Jahre nach unserem ersten Treffen und unserem gescheiterten Versuch einer Beziehung. Es war keine Liebe auf den zweiten Blick, vielleicht auf den 3789sten, denn am liebsten wäre ich auf diesem Auge für immer blind geblieben. Wir waren Freunde, haben diese Freundschaft mühsam aufgebaut, bis sie zu einer der wichtigsten Säulen unseres Lebens wurde und irgendwann, ich kann diesen Moment auf die Minute genau benennen, habe ich dich mit anderen Augen gesehen. Ich habe mir lange eingeredet, dass es nur eine kurze Irritation sei. Eine unvermeidbare Folge der Ereignisse und Umstände. Habe es verdrängt, bis ich irgendwann jedes deiner Worte überinterpretierte, deinen Taten vielleicht viel zu viel beimaß. Bis ich irgendwann nicht anders konnte und die Bombe platzen ließ. Platzen lassen musste, in unserem kuscheligen, platonischen Paradies.
Du sagst, dass du dir ein Leben ohne mich, ohne uns nicht vorstellen kannst. Auch so empfindest, aber immer dachtest, dass du jemanden kennenlernen und es dir den Boden unter den Füßen wegziehen würde, mit sprühenden Funken und himmlischen Chören. Charming. Ich sag mal so: Vom Standpunkt des Storytellings finde ich unsere Geschichte auch eher semi-sexy. In den Träumen meines 20-jährigen Ichs erscheint auch eher ein Prinz auf einem weißen Gaul und kein schmaler Typ mit Bahncard – aber egal. Denn ich weiß, dass der Prinz nichts wert ist, wenn ich dich an meiner Seite wüsste. Wir verstehen uns blind, kennen die schlimmsten Seiten des Anderen und schätzen aber vielmehr das Tollste aneinander. Manchmal hasse ich dich, weil du immer extra in meine unaufgeräumten Schränke guckst und dich dann über die zu tiefen Hängeschränke in meiner Küche aufregst, an denen du dir immer den Kopf anschlägst. Aber ich liebe dich umso mehr, wenn du dich um meine Pflanze kümmerst und mir täglich Fotos schickst, um zu beweisen wie gut es ihr bei dir gefällt. Wenn du mir morgens im Bordbistro eine heiße Schokolade kaufst, obwohl sie den Preis niemals wert ist. Dein Lachen, über den noch so blödesten Spruch meinerseits, bei dem selbst ich unsicher bin, ob das jetzt wirklich so witzig war. Momentan überwiegt aber mein Hass und meine Wut auf dich, weil du meine Gefühle für dich nicht gelten lässt und den Zeichen nicht ins Gesicht sehen willst: Den stundenlangen Videokonferenzen, weil wir uns momentan nicht persönlich sehen können, all den Telefonaten, um die Stimme des anderen zu hören, all den Sonntagen im Lieblingscafé oder den gemeinsamen Urlauben. Den viel zu langen Umarmungen. Du willst wissen, dass wir trotzdem zum Scheitern verurteilt sind. Du suchst also weiter nach Aufregung und Drama, weil das für dich in den letzten Beziehungen ja so gut geklappt hat, ja? Following the pattern, no matter what. Als sei das, was wir haben, genau gar nichts wert.
Vielleicht folge auch ich bei dir nur meinem Muster und nicht etwa meinem Herzen? Ich wünschte, es wäre so Küchentisch-psychologisch einfach. Mein Kopf möchte das sehr gerne glauben. Denn Liebe sollte doch vor allem eines sein: Eindeutig und einfach, oder?! Für mein Herz ist es das, vielleicht nicht einfach, aber umso eindeutiger. Mein Kopf stößt sich zwischenzeitlich am zu tief hängenden Küchenschrank und Tränen des Schmerzes laufen über mein Gesicht, weil ich an dich denken muss und weiß, dass du mich alleine gelassen hast, mal wieder. Weil du dich für deine Angst entschieden hast und damit gegen mich. Du hast Angst, dass wir erneut scheitern und bist überzeugt, dass es so kommen wird. Du hast auch Angst, dass du in 50 Jahren feststellst, dass wir es doch gewesen wären, die beste Kombination unseres Lebens. Deshalb wünschst du dir, dass alles so bliebe wie es ist. Damit du all diesen Fragen aus dem Weg gehen kannst und ich trotzdem weiterhin alles gebe: Verlässlichkeit, Beständigkeit, all die Cozyness, die unsere und vor allem deine Komfortzone so unfassbar kuschelig macht. Wo bleibe ich aber in diesem Deal, der nur einen Gewinner kennt? Beantworten kannst du mir diese Frage leider nicht. Während du deine Augen verschließt, stumm wirst und dich an deine Ängste klammerst, nehme ich mein Herz und sprinte los. Ohne mich umzudrehen.
[Fotos by Robert Strehler Fotografie. Fotografiert mit einer Fujifilm X-Pro 2. Wenn Robert nicht gerade auf der Suche nach neuen Models ist, reist er am liebsten einmal um die ganze Welt, hört die „Live in Hyde Park“ CD der Red Hot Chili Peppers in Dauerschleife, veröffentlicht regelmäßig ein Magazin für die Leipziger Fahrradkultur, weiß ein kühles Guinness sehr zu schätzen und fühlt sich inspiriert von den Werken von Peter Lindbergh. Instagram.]
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