Die besten Geschichten sind die, wenn man überhaupt nicht weiß, was passiert. Wenn man gar nicht einschätzen kann wie der Nachmittag verlaufen wird. Es hat gewittert. Die Straßen sind nass und ein bisschen zu spät bin ich auch. Ich weiß nur: Da wartet ein cooler Typ auf mich im Café baubau, er rappt, hat schon einige schwere Jahre hinter sich, ist aber trotzdem ziemlich jung. Überschaubares Wissen. Aber vielleicht ganz gut. „Triff dich mal mit ihm. Das passt mit euch!“ – und Phil legt gleich grinsend mit einer Story los. „Als es eben mit regnen anfing, hab ich gleich alle Klamotten ausgezogen und in eine Tüte gepackt. Sah vielleicht merkwürdig aus aber alles ist trocken geblieben“. Ich muss lachen: War man früher mit 18 nicht viel schüchterner?
Phil ist 18 Jahre, gebürtiger Leipziger, Rapper und während er diesen Satz sagt, strahlt er. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg gewesen. Während Gleichaltrige normalerweise im Wald räubern oder am Computer zocken, verbrachte Phil seine Nachmittage im Jugendhaus in einer Gruppe für verhaltensauffällige Teenager. „Moment mal, sagtest du Jugendhaus?“ – richtig. Oh, bad boy – und das nicht ohne Grund. Mittelfinger an die Lehrer. Eingeschlafen im Unterricht. Unaufmerksam. Prügeleien. Von drei Gymnasien geflogen. Suspendiert von der Schule. Die Maßnahme vom Jugendamt kommt prompt: Jugendhaus. „Dort habe ich dann angefangen gedichtmäßig Raptexte zu schreiben. Ohne Beat“. Sein erster Rap-Song, den er aufgenommen hat – alle Deutschlehrer können aufatmen: Eine Gedicht-Interpretation von Reinhard Mey auf den Beat von Bushido. Zufälle gehören zum Leben dazu… Mit 12 Jahren stieß Phil im Jugendhaus zum ersten Mal auf Marcell, damals noch Streetworker, jetzt Teil der Superhelden-Schmiede HERO SOCIETY in Leipzig, mit dem er musikalisch voll auf einer Wellenlänge liegt. Bring the beat in! Da reicht nur einer, der an dich glaubt und der dir zeigt, wie es geht. Wie produzierst du einen Beat? Wie nimmst du richtig auf? Wie wirst du das Lispeln los? (Denn ehrlich: „Lispeln geht als Rapper eben nicht“.) Wie schreibst du Texte auf einen Takt? – mit dem Wissen, einer kleinen Rap-Crew und Nachmittagen im Kletterwald sieht die Welt schon besser aus. Trotzdem erkennt Phil immer wieder: Dieses Gefangen sein im Schulsystem bringt mir nichts. Das, was ich lernen will, kriege ich hier nicht. Von der Arbeitsverweigerung bis zur Ordnungsstrafe über versäumte Schulstunden. Ich will meinen Traum leben! Tschüss Hauptschule, ich mach das Ding ohne Schulabschluss. „Wie jetzt? Du hast keinen Schulabschluss?“ – Abgangszeugnis nennt man das. Sein letztes richtiges Zeugnis: Grundschule – und das mit einem Hochbegabten-IQ. Eine Frage, die sich jeder stellen wird: „Wenn du nicht in der Schule warst, was hast du stattdessen gemacht?“. „Ganz viel Musik. Gelesen und gelernt, was manche bis heute nicht wissen: ‚Was mache ich mit meiner Zeit, wenn mir niemand Druck macht?’“. Selbstdisziplin. Anstatt zu zocken und sich zu langweilen, arbeitet Phil an seinem großen Traum. „Ich habe meinen Eltern seit dem ich 14 bin, gesagt: Ey, ich will Musik machen“. Mit 16 kam dann der Entschluss, nach einem Coaching mit der HERO SOCIETY: „Ob ich den Schulabschluss habe oder nicht, spielt für mein Leben eigentlich keine Rolle. Ich werde Musiker sein. Der Schulabschluss ist nur der Bonus“. So soll es sein. Ein starker Traum, aber was passiert, wenn Angst und Unsicherheit dazwischenkommen? „Davon habe ich mich schnell gelöst. Ich hatte starke Vorbilder. Unternehmer. Große Männer, die aber trotzdem im Vergleich zu mir keine besseren Menschen sind. Theoretisch ist es mir auch möglich alles zu erreichen“. So langsam ergibt sich ein Bild von Phil und ich verstehe: Wenn er es wollen würde, könnte er jeden Abschluss mit der Auszeichnung „Sehr gut“ meistern. Wenn er es wollen würde, könnte er jedes Studium beginnen. Wenn er es wollen würde, könnte er alles jederzeit nachholen. Aber das ist nicht Phils Lebensentwurf. Das ist nicht das, was er will. Bei dem Gedanken den Abschluss dann doch nachzuholen, lacht er nur. Sein Leben ist die Musik. Morris Lesky – Willkommen auf der Bühne.
Absolute Freiheit. Unabhängig von der Familie – vielleicht nicht immer freiwillig in Rückblick auf ziemlich beschissene Zeiten. Aber selbstbestimmt Handeln. Seinem Traum näherkommen. Leider gehören zum Erwachsenwerden gehören auch die unschönen Dinge dazu. Das weiß Phil auch. Miete bezahlen. Konten verwalten. An Rücklagen denken. Investieren. Bis Phil ganz allein nur von dem Verkauf seiner Alben leben kann, fehlt noch ein Stück. Da helfen dann Produktionsarbeiten, Filmrollen als Live-Musiker im MDR und Bühnenbau-Jobs weiter. Hauptsache im Bereich der Musik. Irgendwann interessiert es keinen mehr, was du früher gemacht hast. Welchen Schulabschluss du hast – es geht lediglich darum, wer du bist, wie du auftrittst und, dass du deinen Job gut machst. Im Mai rückte dann der große Abend immer näher: Phils erster Auftritt als Solo-Künstler im „Blauen Salon“. Auf der Bühne stehen, abliefern, alles andere ausblenden und einfach nur rappen. „Ich mach dann den Kanye“. Nur kurz darauf: Debütalbum. Komplett in Eigenregie geschrieben und produziert. Phil is on track. Wie es weitergeht? „Was ist dein Plan fürs Leben?“ „Ganz einfach: Mit 24 in Rente zu gehen“. Hand drauf, Phil! Wir sehen uns!
[Dieser Text ist auch auf herolifestyle.de erschienen.]
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