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gebe alles, was ich hab, für alles, was ich will. ich will ’ne ganze menge. also geb ich ganz schön viel.

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In der Krise, so Helmut Schmidt beweist sich der Charakter eines Menschen. Das sagt mir Helmut jetzt doch des Öfteren, meistens in den sozialen Netzwerken. Ich warte derzeit auf die Lieferung meines Puzzles und trage keinen Nagellack mehr. Ich bin unsicher, ob mir dieser Charakter gefällt. Ich habe nie gepuzzelt, nicht mal als Kind und kann dieser Beschäftigung eigentlich nichts abgewinnen, weil ich Dingen, die dem puren Selbstzweck dienen einfach skeptisch gegenüberstehe. Da bin ich einfach zu sehr Hamster im Rad und so. Und nun werde ich bald eine kitschige Landschaft mit Bambi auf meinem Küchentisch liegen haben, zerteilt in tausend kleine Stückchen und muss diese zusammensetzen, um dann… – ja, was eigentlich? Was macht man mit einem Puzzle, wenn es fertig ist? Ich habe S. angedroht, das Werk zu rahmen und ihm zu schenken. Seine Reaktion lässt mich vermuten, dass er nicht an meine Puzzle Skills glaubt. Oh, wird der Augen machen! Wenn nur das Puzzle endlich da wäre.

Was mir allerdings wirklich Sorgen macht, ist nicht unbedingt das Aufflammen meiner neuen Leidenschaft für zerhackte Bilder, sondern der Umstand, dass ich das erste Mal seit zehn Jahren keinen Nagellack trage. Ich fühle mich nackt. Meine Nägel sehen aus als würde die Luft, die ich seit meiner Geburt atme aus einer filterlosen Zigarette stammen. Meine Mama sagt mir jeden Tag, dass sich meine Nägel über die Pause freuen würden. Seit drei Wochen sagt sie das, weil ich genau seit drei Wochen bei meinen Eltern auf dem Thüringer Land lebe. Was mit einer Woche Urlaub anfing, ging in eine zweite und dritte Woche Homeoffice über. Es ist die wohl längste Zeit, die ich seit meinem Auszug vor 13 Jahren am Stück bei meinen Eltern verbracht habe. Normalerweise tritt bereits nach vier Tagen mein Fluchtinstinkt ein, doch diesmal genieße ich die Nestwärme und das Leben in meiner Seifenblase sehr.

An den ersten Tagen erliege ich fast dem Drang, die Zeit möglichst sinnvoll zu nutzen: Für Dinge, zu denen ich sonst nie komme. Also schnüre ich die Sportschuhe und jogge los. Die Erkenntnis, dass mein Fitnesszustand es noch zulässt eine kleine Runde durchzuhalten, beruhigt mich so sehr, dass die Schuhe fortan da bleiben, wo sie auch vorher waren: Im Schuhregal. Anstatt mir also aus den Trümmern meines Hamsterrads ein Laufband zu zimmern und weiterzujagen, schichte ich sie feinsäuberlich auf, zünde es an und sehe den schönen Flammen zu. Ganz schön priviligiert, ich weiß. Aber sonst stünde ich nicht plötzlich mit meiner Schwester im Thüringer Idyll und würde ein Feld vermessen. Ich vornweg, auf meinem Rücken ein Rücksack aus dem eine gefühlt drei Meter lange Messaparatur herausragt. Meine Schwester läuft hinter mir, um jeden meiner Schritte mit ihrem Professor-Gadget-Aufzeichnungsgerät zu überwachen und nach jedem zehnten Schritt kichernd festzustellen, dass ich wie eine Verschwörungstheoretikern aussehe. Hundeneffe B., seines Zeichens eine Dackel-Beagel-Mischung, findet uns ziemlich langweilig und beschließt stattdessen, die Landschaft allein für sich zu entdecken. Es folgt eine wilde Verfolgungsjagd und ich hatte vergessen wieviel Spaß es macht, mit einem Pickup über einen Feldweg zu brettern.

Ich hätte auch nie auf Youtube nach Videos gesucht, die mir und meiner Mama erklären, wie wir die Spülmaschine reparieren. Unserer Meinung nach hätte der Youtube-Mensch ruhig die nicht ganz so hässlichen Handtücher nehmen können, um die Spülmaschine trocken zu wischen und auch sein “Hach ist das aber ekelig”-Getue fanden wir etwas übertrieben, aber gut. Ich hätte auch nie versucht Spätzle selber zu machen. Das war eine riesen Sauerei, deren Ergebnis eher dicke fette Klumpen waren, die erst sehr lecker schmeckten und dann noch schwerer im Magen lagen. Jegliche küchentechnische Aktivität kommentierte meine Mama mit den Worten “Das habe ich dir alles beigebracht, schon mit drei Jahren hast du gebacken und dann hast du diese Talente einfach verkümmern lassen“. Ich habe unsere Routinen liebgewonnen. Nachmittags, wenn meine Mama nach Hause kommt, trinken wir diesen wässrigen Schoko-Cappuccino zum Anrühren, der nach genau nichts und ganz vielen Erinnerungen schmeckt. Weil wir dort groß wurden, wo meine Eltern arbeiteten, auf unserem Bauernhof, war meine Mama immer Zuhause und kochte jeden Mittag für uns. Danach fragte sie uns immer ganz verschwörerisch, ob wir noch ein E-I-S wollten (Sie sprach es nie aus, als handelte es sich um einen geheimen Code. Es war dann meistens Fake-Cornetto.) und rührte sich selbst dann immer diese Plörre an. Nie würde ich auf die Idee kommen, dieses Zeug mal alleine zu trinken, aber ich freue mich jeden Tag auf das Cappucino-Date mit meiner Mama.

Seitdem ich von Zuhause ausgezogen bin und mal wieder für einige Tage zurückgekommen bin, hat mich mein Papa stets gefragt, wann ich denn wieder nach Leipzig fahren würde. Diesmal nicht. Als kurz die Angst vor Kurzarbeit in meine hübsche, dichte Seifenblase piekst, verstehen meine Eltern meine Sorge nicht. Sie seien doch auch noch da und ich solle überhaupt erstmal bei ihnen bleiben. Nur das Puzzle, diesen Quatsch solle ich erst anfangen, wenn ich wieder in Leipzig sei, sagt mein Papa, bevor er mir kurzerhand mein Homeoffice einrichtet. Helmut hat eben doch recht. In der Krise beweist sich der Charakter eines Menschen.

[Shirt by Janek Tattoo.]

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Kommentare

  1. Brit Köhler Brit Köhler sagt:

    War wieder wunderbar, zu lesen, wie das Leben aus deiner Brille ausschaut, liebe Luise. Geiles Schuhwerk. Bis hoffentlich bald mal wieder in Leipzig…. Renkli?!