Prolog: Diesen Text habe ich im Zug geschrieben. Möglicherweise war ich etwas zu vertieft in den schriftlichen Schaffensprozess, dass ich den Schaffner nicht direkt bemerkte. Nachdem ich ihm mein Ticket zeigte, blieb er weiterhin neben mir stehen, um nach gefühlt 678214 Sekunden zu flüstern: „Ich mag kurze Haare bei Frauen. Das mag nicht jeder Mann. Ich mag das. Sehr.“
Here we go.
Ich habe frisurentechnisch nie im Team „Heute nur die Spitzen und vielleicht ein paar Strähnchen“ gespielt. Angefangen hat es damit, dass ich mir die eine Hälfte meines Kopfes schwarz, die andere Hälfte blond färben ließ. Allerdings nicht in vertikaler Unterteilung wie Cruella de Ville und das hätte aus meiner heutigen Sicht einen gewissen Chic, sondern horizontal wie jemand der für seine zukünftigen Kinder „Mama wie sahst du denn mal aus“-Momente schaffen möchte. Und so ging es munter und mit viel Engagement meinerseits weiter. Nach einer anschließend relativ unspektakulären Blondphase folgten Frisuren und Farben, die mich heute den Kopf schütteln lassen – lets call it fifty shades of Regenbogen. In dem Münchener Unternehmen, bei dem ich mein Praxissemester absolvierte, war ich als „Luise. Die mit den lila Haaren“ bekannt. Acht Wochen lang trug ich einen Orange-Ton, der mich jedes Mal zusammenzucken ließ, wenn ich an einem Fenster vorbeigegangen bin, so eine Strahlkraft hatte diese besonders leuchtende Nuance. Den absoluten Zenit aber bildete die Zuckerwatte-Playmobil-Frisur: Ein wunderschöner pastelliger Rosaton in Kombination mit einer Frisur wie die einer Playmobilfigur. For the record: Nur Playmobilfiguren können diesen Schnitt tragen. Ich leider nicht. Aber ich habe auch bewegliche Knie und Arme. Vielleicht ist das der Preis dafür.
Und dann kam er: The day of Britney. Der Tag, an dem ich meine Friseurin des Vertrauens bat, mir den Kopf zu rasieren. Was mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, dass es nach all den Frisuren und Farben, mein rasierter Kopf sein würde, der so viel Echo hervorbringt.
Wenn ich heute in den Spiegel schaue, sehe ich mich und das in einer Klarheit, die es viele Jahre für mich so nicht gab. Ja, ja die vielen Experimente stehen sinnbildlich für die Suche nach mir selbst. Habe ich ja jetzt auch kapiert. Meine Frisur ist für mich Ausdruck meines persönlichen Selbstverständnisses. Nicht mehr und nicht weniger. Für andere Menschen ist sie pure Projektionsfläche für allerlei Kram. Bei blonden Strähnchen oder einem frechen Bobschnitt würde niemand lebensverändernde Traumata („Na ist es jetzt endgültig vorbei mit dem Boy?“), Krankheit („Sag, geht es dir wirklich gut?“) oder Rebellion („Das ist doch ein Statement, diese Frisur!?“) vermuten. Bei einer Frau mit kurzen Haaren setzen das viele Menschen voraus. Dass es eben einen besonderen Grund geben muss, dass dieser bestenfalls nicht selbst gewählt ist. Mittlerweile überlege ich, ob ich mir eine andere Story überlege, damit ich nicht immer in die enttäuschten, zweifelnden Gesichter schauen muss, wenn ich erkläre, dass ich eines Morgens schlicht und ergreifend mit dem Wunsch aufgewacht bin, mir den Kopf rasieren zu lassen und ganz kurze Haare zu haben. Ideen und Anregungen zu diesem Thema sind äußerst willkommen. Vielleicht verlose ich auch etwas. Eine Kopfrasur made by moi oder so. Niemand würde bei einer schulterlangen Mähne in Ombré auf die Idee kommen zu quieken „Ohhhh, darf ich mal anfassen?“ und meistens ohne eine Antwort abzuwarten über den Kopf der anderen, gerne fremden Person streicheln. Hätte ich für diese Frage jeweils einen Euro kassiert, könnte ich bereits meinen Traum als rüstige Rentnerin leben und den Tag mit Mimosas und Callboys begrüßen.
Oftmals erkläre ich dann also, dass meine Frisur nichts Besonderes sei, dass man dafür keinen besonderen Mut, sondern nur einen Rasierer benötige und lächle dabei nett. Lächle nett und lasse mir von fremden Menschen an den Kopf fassen. Lächle nett und höre mir Blödsinn von Schaffnern an. Zurück bleibe ich mit einer Wut im Bauch. Nicht auf mein Gegenüber, sondern auf mich. Weil ich nicht gesagt habe, dass ich nicht schon wieder über meine Haare reden will, weil es eben nur Haare sind. Weil ich nicht gesagt habe, dass ich nicht angefasst werden möchte. Und, weil ich eben nicht mehr wütend auf mich sein will, werde ich versuchen Grenzen setzen, oder wenigstens einen Euro für jedes Kopftätscheln zu kassieren.
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