Bücher, die man unbedingt mal lesen sollte. Das Eine ist schon ein wenig älter, das Andere noch fast warm vom Druck. Das Eine erzählt von der Entdeckung der Langsamkeit, das Andere von den wilden Zwanzigern. Farblich passen sie hervorragend zusammen. Dan Kieran und Jule Müller geben sich die Hand. „Früher war ich unentschlossen, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher“ und „Slow Travel. Die Kunst des Reisens“ sind zwei wirklich schöne Lektüren für den Frühling, lange Fernbusfahrten, Nachmittage auf dem Fensterbrett oder die ersten warmen Stunden auf dem Balkon.
Dan Kieran erzählt in „Slow Travel“ von einer besonderen Art des Reisens. Um die meisten Länder der Welt zu sehen, müsste er in ein Flugzeug steigen. Das weiß Dan auch. Aber das hat er seit über 20 Jahren nicht mehr getan. Denn Dan hat schreckliche Flugangst und entscheidet sich beim Reisen immer für den langsameren Weg. Er vergleicht seine Philosophie eines müßigen Reisenden mit der Art wie Kleinkinder neue Dinge entdecken. „Manchmal bleiben wir wenige Meter von der Haustür entfernt stehen und spielen mit dem Moos, das an der Wand wächst. […] Einmal sind wir 15-mal die Rolltreppen in unserem örtlichen Einkaufscenter hinauf- und hinuntergefahren. Ich lass sie immer die Richtung bestimmen. Eine halbe Stunde lang hat sie das Sagen“. Man muss es sich wohl zuerst als schwierig vorstellen die eigene Ungeduld zu überwinden, um sich dann aber zu entspannen und die kleinen Dinge völlig neu zu erleben aber vor allem lassen einem diese Momente Raum zum Nachdenken. Dan Kieran liebt das Loslassen, Zulassen von ungeplanten Abenteuern und Reisen zu sich selbst – fernab vom Flughafenverkehr, Massentourismus und den Pauschalreisen. Warum man dieses Buch lesen sollte? Weil es es einen wirklich dazu bringt Reisen ruhiger anzugehen und vielleicht auch viel mehr zu genießen. Es erzählt von fremden Bahnhöfen, wandern durch die eigene Heimat, dem Weglassen von herkömmlichen Reiseführern, Budapest im Februar, 14 Stunden im Nachtzug nach Madrid, Unwetter in Schottland, Fährfahrten, Cocktails aus Jack Daniels, Jägermeister und Red Bull und unzähligen historischen Romanen, denen Dan nachreist. „Nach der ersten Woche kam es mir vor, als würden wir ein weiteres, unerschlossenes Land durchqueren, und der Horizont begann sich vor uns auszudehnen. Es war, als würde das Land durch unser langsames Tempo tatsächlich größer werden“.
Viel schneller und lauter erlebt man das Leben im Buch von Jule Müller. „Früher war ich unentschlossen, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher“ erzählt wie sich das heutzutage anfühlt durch die Zwanziger Jahre zu kommen. Golden sind sie nicht, sie glitzern – immerhin. Jule erzählt in 42 Kapiteln, was sie in den Jahren von 20 bis 29 erlebte. Und während man immer wieder schmunzelnd diese Kurzgeschichten liest, fragt man sich heimlich: Was ist eigentlich mein scheiß Problem und wie macht sie das nur? „Zwanzig. Ich bin zwanzig. Wie krass. Die coolste Dekade meines Lebens ist angebrochen. Ab sofort werde ich nur noch Erwachsenen-Dinge machen: Sex und arbeiten und clubben und so“. Ihre erste große Liebe ist gleichzeitig Heroin abhängig, sie spielt auf langen Busreisen als Reiseführerin „Hasenblasen“, ihr erster AIDS-Test, Online-Dating, Butzen-Einweihungspartys mit Coolness-Check am Eingang, wasserstoffblondierten Haaren, richtig guten Abstürzen, flexiblen Arbeitszeiten bei Zahara, noch viel größeren Lieben, Wursttheken, Gruppenfotos, Übernachtungsgästen bei Mutti, Analkniffel und die ersten Rückenschmerzen mit 28. Es gibt für alles ein erstes Mal und für alles eine Geschichte davon. Warum man dieses Buch lesen sollte? Weil man nicht aufhören kann es zu lesen. Weil es anders als diese ganzen „Erwachsen werden ist nicht schwer, Erwachsen sein umso mehr“-Bücher ist. Weil Jule den Leser an allen peinlichen, wirklich peinlichen, traurigen und zugleich schönen Momenten teilhaben lässt. Weil man manchmal alles gar nicht glauben kann und sich immer wieder fragt, ob man diese Phase vielleicht schon übersprungen hat und gleich in den Vierzigern gelandet ist. Weil es einfach großartig ist. „Ich lösche meine Nachricht an Jasmin und tippe eine neue: ‚Andere Mütter haben auch schöne Markusse. Gerade einen kennengelernt. Später n Sektchen kippen? Ich hab wahrscheinlich Aids.‘ Jasmin antwortet: ‚Alte, watt is los? Spinn nicht rum, bums lieber mal einen. Sekt geht klar, bin um neun bei dir.'“ Die Zwanziger fühlen sich, dank Jule Müller zusammengefasst, so an: „Ich kann nicht kochen, bin internetsüchtig, habe noch immer Jugendakne, einen ausgereizten Dispo und Bock auf saufen – nur dass der Kater halt immer schlimmer wird“. [Wer eine Lesung von Jule Müller erleben kann, sollte dies tun.]
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