Header_annabelle sagt
das leipziger lifestyle magazin. ein hoch auf die kreativen dieser stadt!

it’s the first time i see summer on the westhill.

Endlich Sonntag. Endlich wieder die neue Rubrik. Für diese Texte sollte man sich eine Tasse Tee kochen und Zeit nehmen. Mädchen und Jungen im besten Alter, Mitte 20, schreiben ihre kleine Geschichten und Erfahrungen. Alles für die Liebe. Wir sitzen immer wieder zusammen und erzählen, tratschen, diskutieren, klopfen uns auf die Schultern, werden manchmal laut, halten Hände, träumen mit, ermutigen und schmunzeln. Worüber man eigentlich die meiste Zeit redet? Es sind immer die Herzensangelegenheiten. Manchmal frisst uns dieses ganze Gerede über Liebe und Glücklichsein auf. Wir sehnen uns. Wir teilen die Welt in: Vergeben und Single. Wir verlieben uns. Wir erleben Abenteuer. Wir machen Dinge, die man besser nicht machen sollte. Am besten gleich doppelt. Wir lachen mit. Wir sind traurig. Wir runzeln mit der Stirn und hinterfragen uns: Würde man selbst auch soweit gehen oder wie würde man in dieser Situation handeln? Es kann unglaublich spannend sein von diesen persönlichen und ehrlichen Gedanken zu lesen. Ich will diese sammeln. Aus den verschiedensten Städten und Perspektiven. Was bewegt dich? In erster Linie bat ich liebe Menschen aus meinem Umfeld aufzuschreiben, was für sie Herzensangelegenheiten waren oder immer noch sind. Die Absicht dahinter wirkt: “Du hattest Recht. Es hatte einen kleinen therapeutischen Effekt. Das hätte ich nicht gedacht”. Alle Texte bleiben, wenn man möchte anonym und zeigen nur einen Gefühlszustand zum Zeitpunkt des Schreibens. Möchtest du auch ein Gastautor in dieser Rubrik werden, dann schreib an: liebesbrief@annabelle-sagt.de. Es folgt eine…

20150124-20150124-IMG_95991

 Forget about love.

Der Steuerfachangestellte P und seine Freundin S standen schon seit einiger Zeit in einer romantischen Beziehung zueinander. Sie unternahmen kleine Ausflüge zusammen, hatten eine gemeinsame Wohnung und spazierten in den lauen Sommernächten durch die Parks der Stadt L. Etwas allerdings war ungesagt zwischen den beiden. Der Satz „Ich liebe dich!“ wollte einfach nicht fallen. S war der festen Überzeugung, dass der Steuerfachangestellte P ihn sagen musste. Schließlich war er der Mann und sollte es einmal zu einem Heiratsantrag kommen, wollte sie auch diejenige sein, die „Ja“ sagt und nicht die Frage stellt. Der Steuerfachangestellte P hingegen wollte die drei Worte nicht aussprechen, weil er sie fürchterlich kitschig fand. Er hatte in früheren Jahren, als er noch im Elternhaus wohnte, viele romantischen Komödien sehen müssen und stets berührte ihn der Kitsch dieser Filme aufs unangenehmste. P, als „richtiger Kerl“, schämte sich oft seiner Gefühle und machte jedes Mal, wenn er gegenüber S eines dieser Gefühle äußerte, eine flapsige Bemerkung, mit der er sich von dem eben geäußerten sofort wieder distanzierte.

Es verging eine lange Zeit, in der P darüber nachdenken musste, warum er nicht sagen konnte, was seine Freundin S von ihm erwartete; obwohl er deutlich so fühlte. Es musste daran liegen, das P tatsächlich eine solche Situation schon sehr oft erlebt hatte. Nicht am eigenen Leib, sondern in Filmen, Romanen etc. Stets war der Satz „Ich liebe dich“ eine überlebensgroße romantische Geste gewesen, begleitet von anschwellenden Streichern und sachte über den Marmorboden wehenden Rosenblättern. Stets war sofort klar, wann und wo der richtige Zeitpunkt war, um den Satz zu sagen. Doch Ps Beziehung zu S hatte keine Momente, in denen ein Orchester spielte. Nur einmal, in einem italienischen Restaurant in einem der von Touristen stark frequentierten Teile der Stadt L, hatte ein Straßenmusiker mit einer schlecht gestimmten Fiedel versucht, eine ähnliche Stimmung heraufzubeschwören. Nach wenigen Takten kam der Besitzer und warf ihn wieder hinaus. P hatte – das musste er sich zweifelsfrei eingestehen – Angst davor, dass seine kleine Geste der Liebe nicht mit den großen Vorbildern mithalten konnte.

So gingen mehrere Wochen ins Land und in der Stadt L färbten sich die Blätter langsam gelb, dann rot, dann braun. P traf seinen alten Freund F wieder, mit dem er einmal zusammengewohnt hatte. F unterrichtete an der Universität der Stadt L marxistische Theorie und war P ebenfalls lange in intimer Freundschaft verbunden. Die beiden gingen zusammen in eine Bar, wo – nach längerem Gespräch über den Fortgang der Leben der beiden – das Thema der Beziehung zwischen S und P zur Sprache kam. P fragte unumwunden, warum er solche Schwierigkeiten hatte, seiner Freundin S, die er zweifelsfrei liebte, den Satz „Ich liebe dich“ zu sagen. F antwortete: „Wir werden jeden Tag von vielen solcher Botschaften bombardiert. Stets sind sie mit einer unterschwelligen Aufforderung zum Konsum verbunden. Du liebst deine Freundin, kauf ihr einen schönen Ring oder ein Diamantkettchen oder einen weichen Bademantel oder diesen Tee, der ihre Darmflora schützt. Aber umgekehrt funktioniert das nicht. Ein schönes Abendessen, ein Urlaub zu zweit. Das sind gemeinsame Erlebnisse, die sind nicht an irgendwelche Personen gebunden. Du kannst auch mit deiner Großmutter drei schöne Tage in Venedig oder Paris verbringen. Liebe ist nur ein Verkaufsargument. Ein Grund, warum du ausgerechnet diese Reise buchen sollst und diesen Ring kaufen sollst und diese Eiscreme. Vergiss die Liebe. Konzentrier dich auf deine Gefühle. Dann wirst du sehen, dass auch in den kleinen Banalitäten Beweise für eure Zuneigung stecken. Sie funktionieren ganz ohne Kapital. Wenn sie dir Abends den Rücken massiert, wenn du etwas mit ihr machst, was du normalerweise ungern machst. Solche Dinge. In so einem banalen, unendlich alltäglichen Moment ist der richtige Moment um zu sagen „Ich liebe dich!“. Denn im Zweifel werden es genau solche Momente sein, in denen eure Gefühle füreinander stark sein müssen. Jemanden im Regen der Rosenblätter unter dem Eifelturm zu lieben ist einfach. Jemanden nach einem langen Arbeitstag bei schneidendem Wind und Schneeregen zu lieben, das ist es worauf es ankommt.“

F hatte recht, dachte P. Er wollte, dass die Beziehung zu S noch lange andauerte. Aber große Gesten kosten Kraft und Anstrengung, die er nicht immer zu leisten vermochte. Und in der Zeit zwischen den großen Gesten, in denen die Liebe offensichtlich ist, musste er die wirklichen Liebesbeweise erbringen. So klein sie auch waren. Und wenn es nur drei kleine Worte waren.

An diesem Abend kehrte der Steuerfachangestellte P spät in die gemeinsame Wohnung mit seiner Freundin S heim. Sie döste mit einem Buch auf der Couch im Wohnzimmer, eine Fleecedecke um ihre Beine gewickelt. P zog die Schuhe aus, schlich auf leisen Sohlen hinüber zur Couch, wo er S sachte das Buch aus der Hand nahm und sie rüber ins Bett trug. Auf halbem Weg allerdings wachte S auf, sah P, der sie trug, in an und sagte „Hey na?“. P lächelte sie an, legte sie vorsichtig aufs Bett und fragte sich, ob dieser Moment nicht genau einer der kitschigen Momente war, die er immer gefürchtet hatte. Er legte sich zu ihr, kuschelte sich an sie und sagte „Ich liebe dich.“

abgelegt unter herzensangelegenheit