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das leipziger lifestyle magazin. ein hoch auf die kreativen dieser stadt!

and we’re not the same and i will wear that on my sleeve.

Endlich Sonntag. Endlich wieder die neue Rubrik. Für diese Texte sollte man sich eine Tasse Tee kochen und Zeit nehmen. Mädchen und Jungen im besten Alter, Mitte 20, schreiben ihre kleine Geschichten und Erfahrungen. Alles für die Liebe. Wir sitzen immer wieder zusammen und erzählen, tratschen, diskutieren, klopfen uns auf die Schultern, werden manchmal laut, halten Hände, träumen mit, ermutigen und schmunzeln. Worüber man eigentlich die meiste Zeit redet? Es sind immer die Herzensangelegenheiten. Manchmal frisst uns dieses ganze Gerede über Liebe und Glücklichsein auf. Wir sehnen uns. Wir teilen die Welt in: Vergeben und Single. Wir verlieben uns. Wir erleben Abenteuer. Wir machen Dinge, die man besser nicht machen sollte. Am besten gleich doppelt. Wir lachen mit. Wir sind traurig. Wir runzeln mit der Stirn und hinterfragen uns: Würde man selbst auch soweit gehen oder wie würde man in dieser Situation handeln? Es kann unglaublich spannend sein von diesen persönlichen und ehrlichen Gedanken zu lesen. Ich will diese sammeln. Aus den verschiedensten Städten und Perspektiven. Was bewegt dich? In erster Linie bat ich liebe Menschen aus meinem Umfeld aufzuschreiben, was für sie Herzensangelegenheiten waren oder immer noch sind. Die Absicht dahinter wirkt: “Du hattest Recht. Es hatte einen kleinen therapeutischen Effekt. Das hätte ich nicht gedacht”. Alle Texte bleiben, wenn man möchte anonym und zeigen nur einen Gefühlszustand zum Zeitpunkt des Schreibens. Möchtest du auch ein Gastautor in dieser Rubrik werden, dann schreib an: liebesbrief@annabelle-sagt.de. Es folgt eine…

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„You’ve haunted me all my life“.

„Als Kind hatte ich immer diese romantische Vorstellung davon, dass man irgendwann einen Partner oder eine Partnerin findet, zusammenwohnt, eine gemeinsame Perspektive entwickelt, gemeinsam Entscheidungen trifft, Kinder kriegt und zusammen alt wird. Langweilig wird die Beziehung nicht, weil jeder tagsüber immer was erlebt, einen spannenden Job hat (oder zu Hause mit den Kindern bleibt oder whatever) und abends macht man dann gemeinsam noch was. Man kocht, guckt einen Film, hat gerne Sex miteinander und sich noch eine Menge zu sagen. Man plant gemeinsam seinen Alltag und die gemeinsame Zukunft.

In meiner Vorstellung gab es sehr lange nur diese eine Art der Liebe. Eine romantische Zweier-Paar-Beziehung, die lange hält, so gut wie konfliktfrei ist und in der man sich fast blind versteht. Man hat gemeinsame Interessen und Hobbys, macht viel miteinander und ähnelt sich auch bezüglich Temperament und allgemeiner Ansichten. Beide Partner zeigen sich offen und ehrlich ihre Liebe. Man lebt natürlich monogam. Klar guckt man vielleicht mal jemandem hinterher, aber beiden ist klar: Der Mensch, mit dem ich hier durch die Stadt spaziere, mit dem möchte ich mein Leben teilen. Er ist mein Ruhepol und Action-Fun-Park zugleich. (Appetit kann ich mir woanders holen, aber gegessen wird zu Hause.)

Es hat eine Weile gedauert, bis ich gemerkt habe: So einfach und so alternativlos ist das nicht. Schon recht früh habe ich persönlich zum Beispiel gemerkt, dass ich allein aufgrund meiner Sexualität nicht in dieses heteronormative Schema passe. Also nix mit Heiraten, Kinder kriegen, schaffe, schaffe Häusle baue. Gut, nicht so schlimm; mittlerweile kann man ja auch eingetragene Lebenspartnerschaften führen und irgendwie irgendwo irgendwann vielleicht auch einmal Kinder adoptieren. Das sind die gesellschaftlichen Hürden, die man nehmen muss und die hoffentlich mit der Zeit immer leichter zu nehmen sein werden. [Ich würde mich freuen, wenn „alternative“ „Lebensentwürfe“ irgendwann genauso normal sind wie die klassische Mutter-Vater-1,4-Kinder-Konstellation. Aber das ist gar nicht die größte Herausforderung, die sich stellt.]

Woran man selbst arbeiten kann, und was in der eigenen Hand und in der des Partners liegt, ist der eigentliche Knackpunkt, der mich an meinem Beziehungsideal der Kindheit und Jugend zweifeln lässt.

Meine bisherigen Beziehungen waren alles andere als klassisch, lang anhaltend oder konfliktarm. Irgendwas ist ja immer. Das ist auch ok, man ist jung und es ist nicht mehr 1975, wo man mit 18 heiratet, um eine bessere Wohnung in Aussicht gestellt zu bekommen. Die Gesellschaft forciert das monogame Leben nicht mehr wirklich. Aber trotzdem ist da mein Bedürfnis, eine solide und gute Beziehung zu diesem einen besonderen Menschen auf die Beine zu stellen.

Sobald ich also diese Person gefunden habe, für die ich die Extraportion Gefühl aufbringen wollte (und die das Ganze auch noch erwidert), wird es auch nicht einfacher: Eine gute Zusammenfassung meiner inneren Gefühlsgemengelage gibt Arthur Schopenhauer in seiner Parabel über die Stachelschweine. Eiskalt geklaut bei Wikipedia besagt die Folgendes:

„An einem kalten Tag entwickelt eine Gruppe Stachelschweine ein allen gemeines Wärmebedürfnis. Um es zu befriedigen, suchen sie die gegenseitige Nähe. Doch je näher sie aneinanderrücken, desto stärker schmerzen die Stacheln der Nachbarn. Da aber das Auseinanderrücken wieder mit Frieren verbunden ist, verändern sie ihren Abstand, bis sie die erträglichste Entfernung gefunden haben.“ (Quelle: Wikipedia, de.wikipedia.org/wiki/Die_Stachelschweine_(Parabel))

Genau so lässt sich meine Gefühlswelt zusammenfassen. Es ist eben nicht diese Sicherheit, die ich mir als Kind so vorgestellt habe: dass man sein Leben mit dieser Person verbringt, die da neben einem steht und ihre zarte Hand in die eigene legt. (Aber genau das macht es ja auch irgendwie spannend.) Es ist nicht nur Sicherheit, die man spürt; es ist auch Verletzlichkeit, die man zulassen muss. Erst, wenn man etwas von seinen schützenden Mauern einreißt und sich seinem Partner „offenbart“, ist die Beziehung wirklich eine Liebesbeziehung.

Allerdings habe ich im Laufe meines Lebens so viele Beziehungen zerfallen sehen, die ich häufig für „ideal“ gehalten oder als eine „Vorzeigebeziehung“ empfunden habe. „Guck mal, die geben sich total viel Freiraum, die machen ihr Ding aber sind auch füreinander da. Das finde ich richtig gut.“ Und zack, ein paar Monate, einen Umzug, eine Affäre oder ein paar Gefühle weniger später, ist alles gar nicht mehr so heile. Ich bin erfahren im Scheitern. Oder im Miterleben vom Scheitern anderer. Und so stehe ich nun da, und weiß, dass der Mensch, der da neben mir steht, einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben ist. Und ich weiß, dass ich möchte, dass das noch sehr lange so bleibt. Aber nicht aus Gewohnheit, sondern weil es beide immer wieder wollen. Der gemeinsame Weg soll ein gemeinsamer bleiben und sich nicht irgendwann an einer Gabelung trennen. Das spornt an, so dass man immer wieder zueinander findet. Zumindest glaube und hoffe ich das.

Was habe ich also gelernt? Ich habe gelernt, dass es mehr als eine Art gibt, sich gegenseitig seine Liebe zu zeigen. Und dass Beziehungen nicht immer ohne Konflikte verlaufen. Und dass nicht immer alles beim ersten Versuch klappt. Und dass es mehr als das klassische Familen- oder Beziehungsmodell gibt.

Auch finde ich wichtig zu wissen, dass man eigene Beziehungsideale von aufgezwungenen Vorstellungen unterscheiden muss: Wir kriegen immer wieder unendlich viele „Boy meets girl“-Storys vorgekaut und wir wissen, wie sie anfangen, verlaufen und oft auch enden. Dass es sich dabei um Fiktion handelt, wissen wir. Trotzdem blenden wir es allzu gern aus und eifern dem Quatsch auch noch nach. Oder sind enttäuscht, wenn unser Lover nicht nachts mit einer Boombox über dem Schädel vor unserem Balkon steht. (Mittlerweile würde da vorher auch eine 30-sekündige Spotify-Werbung für BlaBlaCar laufen.) Ich glaube, dass es für niemanden von uns ratsam wäre, einen dieser ausgetretenen Pfade folgen zu wollen. Einen eigenen Weg zu gehen ist schwer, denn man muss durch matschige Pfade waten und hat keine gepflasterten Wege vor sich. Aber man kann selbst bestimmen, wohin die Reise gehen soll und man muss auch nicht in irgendwelche Fußstapfen treten. Und das ist doch auch eine ganze Menge wert.

Und irgendwann stumpfen die Stacheln vom Lieblingsstachelschwein vielleicht ab, wenn man sich oft genug daran gepiekst hat. Oder man lernt, mit dem Stechen in der Brust zu leben.“

abgelegt unter herzensangelegenheit