Es begann mit einem Raclette zu siebt und endet mit goldenen Augenpads bei einer Tasse Tee, auf dessen Teeschild scherzhaft „feeling new“ steht. Es ist der Vorabend vor Silvester und somit der vorletzte Abend in diesem gefühlt so langen Jahr. Man warnte mich davor nicht zu viel nachzudenken, zu grübeln oder zurückzublicken. „Zu viel nachdenken, macht blöde“ und einen Jahresrückblick will in diesem Jahr sowieso niemand lesen, sagen sie alle. Absolut in Ordnung. Dann ist es eben nur für mich und für die, die denken, dass auch dieses Jahr eine Zusammenfassung wert ist. Kann man das eigentlich rückblickend alles glauben, was in diesen zwölf Monaten geschehen sein soll oder steckten wir sehr lang in einer Zeitschleife fest, während wir immer wieder das gleiche Bananenbrotrezept gebacken haben? Dieses Jahr war schmerzhaft. Es war zäh, einsam, brutal in allem, was um uns herum passierte, es hat seine Spuren hinterlassen und alles auf den Kopf gestellt. Doch ungeahnt dessen, dass es uns im Frühjahr in die kleinste Ecke gedrängt hat, sind wir so stark geworden und haben um alles gekämpft, was uns lieb erschien. Nicht alles ließ sich retten. Träume lösten sich in Luft auf. Aber wir sind gewachsen. Wir sind stärker geworden. Freundschaften wurden näher zusammengeknüpft, wir haben neue Rituale entdeckt, Ideen entstanden und wir waren am Ende vielleicht viel mehr bei uns selbst als sonst. Ziemlich schnell lehrte einem dieses Jahr, was guttut und was nicht. Wir lernten flexibel zu werden und niemals stehen zu bleiben. Wir waren im Stande einen absoluten Ausnahmezustand zu überstehen, füreinander da zu sein und nicht aufzugeben. Als stets optimistischer Mensch weigere ich mich dieses Jahr mit einem Stempel abzugleichen – und glaubt mir, es könnte mir sehr leicht fallen diesen aufzudrücken. Nichts war bisher schmerzhafter als dieses Jahr.
Wir waren im Stande einen absoluten Ausnahmezustand zu überstehen, füreinander da zu sein und nicht aufzugeben.
Aber mein unerschütterlicher Glaube an das Gute lässt mich in diesem Jahr sehen: Einen sonnigen Neujahrsspaziergang am See. Aperol Sour in der Motel One Bar. Der HGB Rundgang im Februar. Ein Valentinstagsdate im PEKAR. Eine wilde Partynacht in der GfzK. Ein Interview mit dem Oberbürgermeister der Stadt. Ein Hüttenwochenende in den bayerischen Bergen und meine erste Gipfelwanderung in knapp zwei Stunden. Die aufkeimende Begeisterung für Kniffel-Abende. Fröhliche Gesichter in Video-Calls. Radtouren um den See. Die ersten Male als Lieferhutschi für das Rimini in Connewitz und später dann für die Weinbar renkli. Feste Tagesabläufe im ersten Lockdown. Ein Schokoladenkuchen mit Gummibärchen. Freunde im Treppenhaus, die nicht nur auf die Pizza, sondern auch auf die erste Umarmung warteten. Vormittage im Garten. Neun Stiche am Fuß und eine Fahrt in die Thonberg-Klinik mit mehr als entspannt scherzenden Ärzten. Die neue Lieblingspizza mit Filetstreifen. Zu viel Trash-TV. Weinabende am Kräuterbeet mit Gläsern und Kerzenständern von Zuhause. Hinterhof Kuchendates. Neue WE RIDE LEIPZIG Magazine. Pizza auf der Straße. Bärlauch im Wald und ein erstes frühlingshaftes Erwachen in der Stadt. Abende am Südplatz zur „Südplatz Wache“. Die letzte Pizza im Lieferservice. Das erste kalte Guinness in der Sonne. Viele Menschen auf zu kleinen Balkonen. Eine erste kleine Reise. Auf Swapfiets durch Hannover. Mein neues Fahrrad. Eine Weinreise zu Saale-Unstrut. Geburtstagsüberraschungen. Das erste Mal auf einem Fixie. Ein Besuch in Dresden. Das erste Mal wieder richtig betrunken. Ein langer heißer Sommer am See. Rote Tomaten auf dem Balkon. Eine langersehnte Reise nach Kiel. Himbeeren pflücken mit Oma. Ein lauschiges Geburtstagsfest im kleinen Kreis. Vier Kuchen auf der Geburtstagstafel und ein rosafarbener Sonnenuntergang. Pilates im Park. Ein einziges Konzert auf der Picknickdecke, dafür aber „Die Höchste Eisenbahn“ spielen gehört.
Wir haben es selbst in der Hand, was wir daraus machen.
Drei platte Reifen in einer Woche. Romantische Sommerkonzerte im Biergarten. Pizzadates auf der Karl-Heine-Straße. Riesige Fahrraddemos um den Innenstadtring. Eine Reise nach Waren an der Müritz. Beschwipste Dampferfahrten. Berliner Besuch in Leipzig mit einer kleinen Überraschung. Ein Latte Art-Kurs nur für mich allein. Eine Woche an der Nordsee mit Insel-Hopping und Yogastunden. Eine Party mit dem Motto „All over Glitter“ und echten Drag Queens. Pilze im Leipziger Auwald. Goldener Herbst. Der letzte köstliche Abend bevor die Restaurants ein zweites Mal schließen. Kaffeedates in der Sonne auf dem Bordstein. Besuche im Garten der Großeltern. Die Entdeckung von Sauce Hollandaise. Spaziergänge. Selbstgebackene Plätzchen. Eine neue Aufgabe und ein ganz besonderer Blumenstrauß. Geschichten über Prinzessin Diana. Spontane Haarexperimente zu zweit. Zum ersten Mal selbstgekochte Rouladen. Weihnachtsfeiern. Klöße. Unser eigener Kaffee. Eine erste Videokonferenz mit den Großeltern. Eierlikör. „Tatsächlich Liebe“. 0,5 Liter Gin Tonic. Und zuletzt: Ein Sonnenuntergang auf dem Fockeberg. All das sollte in Erinnerung bleiben. Den Rest wollen wir gar nicht erst mit ins nächste Jahr nehmen. Denn gerade jetzt brauchen wir umso mehr Hoffnung, Mut und Zuversicht für ein gutes Jahr. Auch ohne großes Feuerwerk. Auch ohne riesige Party. Wir haben es selbst in der Hand, was wir daraus machen. Das hat uns 2020 gelehrt. Be a good one 2021!
Foto (c) Maxim Lobachov
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