Seit einem Jahr steht das Thema dieser Kolumne. Als K. uns letztes Jahr die heilige Geschichte aus der Bibel, also das Jahreshoroskop der VOGUE vorlas, beschlossen wir, dass ich auch einfach mein eigenes Horoskop schreiben könnte. Schließlich kümmere mich ja auch sonst um die meisten Dinge alleine – deswegen sind auch die Spots in meinem Bad seit Wochen defekt. Das hat allerdings den Vorteil, dass man den Dreck nicht so genau sieht und die eher schummrige Beleuchtung meinem Teint dann doch sehr zu Gute kommt. Aus Zwecken der Recherche führe ich mir erst die Kolumne des letzten Dezembers und dann mein VOGUE Horoskop für 2020 zu Gemüte und was soll ich sagen: Holy Jesus! In meiner Kolumne bemängelte ich fehlende Weihnachtsstimmung und befand mich emotional gesehen erstaunlich nah am Rand der persönlichen Apokalypse. Jetzt: Zwölf Monate später sitze ich Zuhause und nicht in einem Zug. Ich trinke keinen überteuerten Weißwein aus dem Bordbistro. Meine auf Muckeligkeit getrimmte Wohnung ist in goldigen Kerzenschein gehüllt und Mariah singt von ihrem einzigen Wunsch zu Weihnachten, der sich auch nach all den Jahre nicht zu verändern scheint. Der Weihnachtsmann meint es offensichtlich nicht allzu gut mit ihr und sie scheint sehr hartnäckig zu sein. You go, Girl. Und während sich meine aktuelle Situation nicht stärker von der damaligen Momentaufnahme unterscheiden könnte, umso präziser war die kosmische Vorausschau für dieses Jahr. Die VOGUE hat halt immer recht, oder?
Natürlich könnte man jetzt sagen, dass Horoskope ausreichend Interpretationsspielraum für die eigenen Projektionen, Wünsche und vielleicht auch Einsichten bietet, schon klar. Aber diese Magie lasse ich mir nicht nehmen. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass mein Papa uns jeden Morgen unser Horoskop aus der Tageszeitung vorgelesen hatte. Morgens, halb sieben in Thüringen. Jedes Mal fragte er nach unseren Sternzeichen, als könne er sie sich einfach nicht merken. Kommen wir zum Punkt: Mein Horoskop. Was mich genau qualifiziert mich in die Sterne zu gucken und diese zu deuten? Genau! Gar nichts, aber dieser winzige Stolperstein hält ja die wenigsten Menschen davon ab Dinge zu tun, von denen sie keinen Schimmer haben, nicht wahr? Und auch wenn ich weder von Tierkreisen, Häusern, Planeten, noch Aspekten eine Ahnung habe und erst seit 90 Sekunden weiß, dass das die vier Bestandteile eines Horoskops sind, so bin ich mir bewusst, dass sich gewisse Charaktereigenschaften auch in 2021 nicht in Luft oder Wohlgefallen auflösen werden.
Da ich Steinbock bin, heißt das für mich konkret: “Hallo Starrsinn, schön dich wiederzusehen, alter Freund.” Aber das ist in Ordnung, denn ich übe mich in Selbstliebe und nur mit dieser überdurchschnittlichen Portion Beharrlichkeit war ich in der Lage meine kleine, aber schwere Nordmanntanne in meinem Fahrradkorb nach Hause zu transportieren und danach mein modulares, aber doch recht sperriges Sofa auseinanderzunehmen und zu einer neuen Kuschellandschaft zusammenzubauen. Mit diesem Spirit starte ich ins neue Jahr. Vielleicht wird es dann auch was mit der Badbeleuchtung. Diesmal aber mit dem Unterschied, dass ich auch mal um Hilfe bitte und sie annehme, wenn sie mir schon angeboten wird. Denn nur, weil ich vieles alleine kann, muss ich es ja noch lange nicht tun. Prinzipiell wird es eine fulminante Fahrt ins und durchs neue Jahr, das hab ich in meinem Mimosa. So mit quietschenden Reifen, statt mit angezogener Handbremse. Da muss sich nicht erst alles sortieren, irgendwelche Planeten in Einklang gebracht und allogonische Winkel justiert werden, denn das haben die Sterne und ich 2020 schon erledigt. Hat immerhin auch die VOGUE gesagt. Aber wo fahren ich hin, mit den qualmenden und funkensprühenden Reifen? Funktioniert das überhaupt, so technisch gesehen? Frage für einen Freund, denn ich schreibe schließlich kein Essay über Maschinenbau, sondern versuche mich an einem Spoiler für 2021.
Zu Beginn des Jahres lasse ich mich nicht vom Selbstoptimierungszwang, der irgendwie die kleine, noch beschissenere Schwester vom Lockdown zu sein scheint, mitreißen. Weil 2021 komplett im Zeichen der Liebe steht. Weil ich endlich meine Knie anschauen will, ohne an diese eine Person denken zu müssen, die mir als Kind immer eingeredet hat, ich hätte Kälberknie. Was daran so schlimm sein soll hab ich nie verstanden, zumal ich Kälber eigentlich ganz süß finde, aber es schwang immer in ihrer Stimme mit. Egal. In beruflicher Hinsicht ist auch endlich ankommen, um zu bleiben, angesagt. Das ergibt sich aus der Konstellation aus großartigem Team, dem süßen Schrank, den besten Spotify-Playlists und dem unfassbar kurzen Arbeitsweg. Rad „Sasha“ und ich ballern schon in unter fünf Minuten zum Ziel und haben fast keine Angst mehr vor den Schienen. In Sachen Selbstverwirklichung und persönlicher Entwicklung kann aufgrund der neuen Zeitfenster das Potenzial endlich voll ausgeschöpft werden. Also zumindest ein bisschen mehr als sonst, falls der Schweinehund oder eine gute Serie auf Netflix nicht dazwischen kommen, versteht sich. Aber auch hier gilt: Kein Muss. Sondern Wollen aus intrinsischer Motivation, statt aus äußeren Zwängen. Ich glaube, der Schweinehund hat diesen Spruch als Wandtattoo. Schön geht es weiter, denn das Family-Department ist von Zuwachs, als von Verlust geprägt, es bleibt aber gewohnt turbulent. Thüringer Temperament, eben. Da wird halt um jeden Cent in der Lotto-Spielgemeinschaft gefeilscht. Papa, wenn du das liest: Ich habe deine 59 Cent nicht vergessen.
Das eigene Heim erlebt 2021 eine florale Renaissance, die sich im Oktober des letzten Jahres bereits in Form neuer Blüten von Hortensie „Helmut“ ankündigte und in einem Balkon gipfeln wird, der dem Anglizismus „Urban Jungle“ alle Ehre macht. Und während die vegetabile Sterblichkeit stark zurückgeht, so erstarkt nicht nur das zarte Band zwischen mir und meinen pflanzlichen Freunden, sondern auch alle anderen Beziehungen, in denen ich nicht nur ausreichend Licht und Wasser zu Verfügung stellen muss. Hier lautet das Motto: The more, the better. Mehr Kniffel- und Kuchendates. Mehr Glitzerparties zu „RuPauls Drag Race“. Mehr Spaziergänge im Wald und Gespräche über die kleinen, peinlichen Geheimnisse. Mehr Verbundenheit und füreinander da sein. Mehr Kaffee im Bett. Wenn ich mir das so durchlese, kann ich das neue Jahr kaum erwarten. Kleine Empfehlung zum Jahresende deshalb von mir: Lasst euch von der VOGUE nicht vorschreiben wie euer Jahr zu sein hat oder wie die Sterne stehen. Investiert die acht Euro in einen guten Wein und ran an die Tasten. Schreibt euer eigenes Horoskop! Bananenbrot gebacken und gepuzzelt haben wir im ersten Lockdown schließlich mehr als genug.
[Fotos (Kniffelabend) by KaisKais. Fotografiert mit Canon EOS70D (digital). Wenn Kais nicht gerade auf 35mm fotografiert, schreibt er wunderbare Kolumnen, recherchiert für seine journalistischen Texte auch gern im Floating Tank, kocht hervorragend nach der NYT Cooking-App, bespricht Hegel bei einem Glas Rotwein und träumt von seiner Radtour durch Tokio. Instagram.]
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