Seit Tagen verspreche ich, dass ich mich jetzt aber wirklich hinsetze, um diese Kolumne endlich mal zu schreiben. Ich habe mir auch extra nichts weiter vorgenommen. Und so sitze ich erst brav am Tisch und starre die leere Seite an, wechsle dann auf den Balkon, starre erst die leere Seite, dann meine Balkonbepflanzung an und lobe mich selber, dass alle Pflanzen nicht nur am Leben sind, sondern auch schön wachsen. Der nicht mehr ganz so kleine Benjamin Buxbaum könnte sogar schon einen kleinen Spitzenschnitt vertragen. Das mache ich aber lieber nicht selbst, sonst wird es auch bei ihm eine Glatze. Ich schweife gedanklich irgendwie ab. Also wechsle wieder nach drinnen und finde mich auf meinem Sofa wieder. Mein Blick schweift wieder, das scheint ihm wirklich Spaß zu machen. Von der leeren Seite wandert er durch mein Wohnzimmer und uns fällt beiden auf, wie sehr wir diese Wohnung mögen. Besonders kurz vorm Sonnenuntergang, wenn das Licht so schön goldig durch die dreckigen Fenster scheint. Aber zum Glück ist bis dahin noch viel Zeit zum Kolumne schreiben, weil: Ist ja erst Vormittag. Was soll ich sagen?
Auch an diesem Tag blieb die Seite leer, weil mein schweifender, nach Ablenkung suchender Blick relativ schnell vom roten N eingefangen wurde und gefesselt bei den kurzgewachsenen Immobilienmakler-Zwillingen aus Los Angeles hängenblieb und sich erst wieder löste, als meine Wohnung ganz goldig schimmerte. Wieso tue ich mich mit dem selbst ausgewählten Thema so schwer, frage ich mich. Wieso tänzel ich mit einer überproportional langen Einleitung drumherum, wie sonst nur bei “Lass uns mal reden”-Gesprächen? Vielleicht, weil ich im Grunde damit genau nichts anfangen kann. Nämlich mit Urlaub. Also im Sinne von Urlaubsreisen. Mir ist die Bedeutung von arbeitsfreier Zeit schon klar, so ein krasser Workholic bin ja nicht mal ich. Aber dieses Wegfahren oder am besten 12 Stunden weit weg fliegen, all das bereits ein Jahr im Voraus planen – all dem kann ich absolut nichts abgewinnen und ich weiß wie engstirnig und kleinbürgerlich das wirkt, obwohl ich glaube, dass es nichts Heiligeres für einen Kleinbürger gibt als zwei Wochen All-Inclusive am Gold-, Sonnen- oder sonstigem Strand. Hier also ein Erklärungsversuch, wieso ich nicht gerne in den Urlaub fahre.
Spulen wir also zurück in meine Kindheit. Sorry, Mama und Papa, dass ihr immer für alles herhalten müsst. Wir sind als Familie fast nie gemeinsam in den Urlaub gefahren, schon gar nicht im Sommer, weil da bei Landwirten nun mal Erntezeit und Ausnahmezustand herrscht. Es gab daher nur wenige gemeinsame Familienurlaube. Meine Geschwister und ich waren bei dem einen Urlaub auf Teneriffa so aus dem Häuschen, dass wir den Miniclub kurzerhand übernommen und die abendlichen Aufführungen inkl. Hulahoop-Contest dominiert haben. Als müssten wir sämtliche Aktivitäten mitnehmen und gewinnen, weil wir wussten, dass diese Momente so schnell nicht wiederkommen würden. Hatten die anderen Kinder halt mal Pech, die würden ja im nächsten Jahr ohnehin wiederkommen. Wenn also keine gemeinsamen Familienurlaube, dann doch wenigstens Ferienlager? Voll cool, mit anderen Kindern abhängen und eher semi-beaufsichtigt all dem Unsinn nachgehen, der schon immer mal ausprobiert werden wollte? Nicht mit mir. Ich habe das ganze zwei Mal ausprobiert und jedes Mal wollte die kleine Luise abgeholt werden. Wurde ich dann auch, ich war schon damals sehr durchsetzungsstark. Meine Zeit mit Kindern zu verbringen, die mir einfach viel zu anstrengend waren, entsprach einfach nicht meiner Vorstellung von Entspannung. Tut es bis heute nicht. Neben der Herausforderung, sich in irgendeiner Hackordung bewähren zu müssen, die ich dankend ablehnte, gab es aber einen stets noch viel schwerwiegenderen Grund, die Koffer vorzeitig wieder zu packen und die Reise nach Hause anzutreten: Heimweh.
Ich leide bis heute unter furchtbarem Heimweh. Heimweh ist die kleine gemeine Schwester von Liebeskummer, die einem zusätzlich nochmal schön vors Schienbein tritt, wenn man ohnehin schon heult. Während meines Austauschjahres in Frankreich hatte ich ganze 12 Monate schweres Heimweh. Nur meine absolute Sturrheit ließ mich nicht vorzeitig abbrechen. Hab ich halt gegessen und 20 Kilo zugenommen, aber dieses eine Mal ließ ich das Heimweh nicht gewinnen. Also nicht direkt. Selbst, wenn ich heute einige Tage in Berlin schlafe, weil das Pendeln zu viel ist, habe ich Sehnsucht nach meinem Zuhause. Und dabei bin ich mit einer Zweitunterkunft gesegnet, die man ohne weiteres für ein Design Magazin ablichten könnte. Aus Gründen der Privatsphäre will ich nicht zu viel sagen, aber holy moly. Ist meinem Heimweh leider total egal. Es scheint Designermöbeln nicht so viel abgewinnen zu können, wie ich. Ein Monatsgehalt oder mehr für zwei Wochen irgendwo in der Ferne ausgeben, dann am besten noch in der Sonne? Nein, danke. Und der Grund ist bestimmt nicht der Geiz, denn über diesen Charakterzug verfüge ich nicht, sagt mein Kontostand. Man muss wissen, dass sich zu meinem Heimweh, meiner kindlichen Prägung, dem Unverständnis und Skepsis gegenüber Fernreisen, auch noch die Abneigung gegenüber grellem Sonnenlicht gesellt. Ja, ich bin eine komplizierte Frau, ich weiß. Außerdem finde ich Fliegen einfach furchtbar, nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes. Alleine die Vorstellung durch die Sicherheitskontrollen zu müssen, lässt mir sofort Angstschweiß den Rücken runterrinnen. Und danach soll ich mich noch für mehrere Stunden mit sehr vielen, sehr fremden Menschen in eine Blechbüchse setzen, wo ich die Einzige sein werde, die den Stewardessen zuhört, um ihre Sympathie für den Ernstfall zu erschleichen, wohlahnend, dass auch die im Ernstfall nicht wissen, was zu tun ist? Und dafür soll ich Geld ausgeben? Nee, macht ihr das mal gerne alleine.
Dann also vielleicht lieber mit dem Bus durch Europa touren und abends bei nem Dosenrisotto vom Gaskocher schön dem Knistern des Lagerfeuers lauschen? Das erinnert mich dann doch zu sehr an diesen einen Urlaub, oder viel mehr an das Überlebenstraining mit meinen beiden Cousinen vor etwa 17 Jahren. Die Paten der Beiden haben uns in die Toskana mitgenommen, weil sie sich dort ein Ferienhaus bauen wollten. Meines Wissens wurde der Bau nie fertig gestellt. Wir lebten etwa eine Woche in einem Wohnwagen in der italienischen Walachai (ich weiß, dass das geografisch nicht korrekt ist), ohne fließendes Wasser, dafür aber mit viel zu viel Grappa, gemessen an unserem, damals noch zarten Alter. War lustig, aber mein Pensum an Nature-Exploring-Adventure-Travelling war mit dieser Erfahrung dann auch abgedeckt. Zu sagen, dass man keinerlei Fernweh verspürt, dass man ziemlich gerne einfach zu Hause ist und im eigenen Bett schläft, erscheint auf den ersten Blick vielleicht nicht super open-minded, auf den zweiten auch nicht und auch auf den dritten wirkt es nicht unbedingt cosmopolitisch. Dass die Postkarten nie aus fernen Ländern kommen, ist langweilig. Vielleicht für den Empfänger, für mich jedoch nicht. Deswegen freue ich mich auch schon voll auf meinen nächsten Urlaub. Ich habe mir eine kleine Suite in Thüringen gebucht. In so einem netten Boutique-Hotel bei Menschen, die ich schon ziemlich lange kenne. Das wird schön.
[Fotos by KaisKais. Fotografiert mit Canon EOS70D (digital) und Canon EOS Rebel G (analog). Wenn Kais nicht gerade auf 35mm fotografiert, schreibt er wunderbare Kolumnen, recherchiert für seine journalistischen Texte auch gern im Floating Tank, kocht hervorragend nach der NYT Cooking-App, bespricht Hegel bei einem Glas Rotwein und träumt von seiner Radtour durch Tokio. Instagram.]
[Brille by VIU EYEWEAR. THE FIERCE]
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