Ich erinnere mich genau an dieses besondere Gefühl: Ich hatte mein Abitur bestanden und dazu die Gewissheit erlangt, das Leben nun endlich verstanden zu haben. Ich arme, langhaarige und blonde Idiotin. Um dieses Ereignis gebührend zu zelebrieren, wollte ich etwas Besonderes tun, etwas Bleibendes schaffen. Also ließ ich mir beim Dorf-Tattoo-Artist mein erstes Tattoo stechen. Und, da man beim ersten Mal ja immer noch ein bisschen ängstlich ist und zunächst mal den kleinen Zeh ins Becken der lebenslangen Körperkunst halten will, habe ich mir gleich den kompletten Rücken verzieren lassen. Grundlage war eine wochenlange Recherche, Abwägung und Suche nach dem perfekten Motiv – leider nicht. Kurz vor dem Termin hatte ich noch keine richtige Idee, musste aber noch kurz zu OBI, weil ich bald in meine erste eigene Wohnung ziehen würde und diese gerne mit einer hübschen Bordüre pimpen wollte. Ich sag mal so: meine Wohnung ist nie in den Genuss dieser Blumenranke gekommen aber die Schablone hat anderswo eine bleibende Verwendung gefunden. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass sich auch zwei meiner Freundinnen ihre tiefgründigsten, künstlerisch wertvollsten Ideen dermatologisch verewigen ließen und, wenn ich so über die anderen Motive nachdenke, sehe ich mich jedoch definitiv nicht als Verliererin dieses Trios.
Kurz darauf folgte das obligatorische Geschwister-Tattoo und tatsächlich sollte dies das einzige Werk mit tieferer Bedeutung bleiben. Das ist tatsächlich auch das Schlimmste an Tattoos: nicht der Schmerz, das Geld, sondern die Fragen anderer Menschen nach der Bedeutung. Was soll denn bitte der Flamingo bedeuten? Oder der Schwan? Der widerspiegelt nicht etwa meine Sehnsucht plattfüßig und monogam durchs Leben zu watscheln… oder etwa doch, so unterbewusst?! Vermutlich rührt die Frage aber daher, dass sich die meisten Menschen nur dann etwas tätowieren lassen würden, sofern das Motiv mit einer tieferen Bedeutung einhergeht. Das kann ich nachvollziehen, würde mir aber dann aber auch gerne ein solch scharfes Urteilsvermögen, ob der Bedeutung wünschen, wenn es darum geht, sich irgendwelche Wandtattoos in die Wohnküche zu zimmern. Aber, was rede ich? Mein Rücken ziert ein Motiv, das vermutlich viele Wohnzimmer in terracottafarbener Wischtechnik schmückt. Also, wenn es nicht die Bedeutung der Motive ist, was motiviert mich dann mich allein 2019 sechs Mal auf den Tisch zu legen?
Vielleicht es die Konservierung eines bestimmten Gefühls. So erinnere ich mich noch gut an den Sommer, an dem ich mir große Teile des rechten Arms bemalen ließ. Ich war ziemlich unglücklich, hatte ein halbes Jahr München hinter mir, ohne Geld, dafür mit richtig viel Liebeskummer. Ich war also so richtig fertig. Zurück in Leipzig waren alle aus meinem Studiengang viel weiter als ich und ich blickte auf sechs Monate zurück, in denen ich in einem schimmligen Keller gehaust habe, der mich mein gesamtes, recht übersichtliches Praktikantinnengehalt gekostet hat. Im Gegensatz zum rechten Arm, habe ich dann über das Motiv des linken Arms doch sehr lange nachgedacht und die Idee zu einer Zeit umgesetzt, in der ich gelernt habe, meine Komfortzone zu verlassen, mich nicht mit Situationen zufrieden zu geben, in denen ich mich unwohl und nicht gesehen fühle. Das letzte Tattoo entstand dann ganz spontan beim verkaufsoffenen Sonntag. Da willst du dich mit deiner kleinen Schwester beim Brillenfachgeschäft deines Vertrauens auf einen Glühwein treffen, um dann die letzten Weihnachtsgeschenke zu shoppen und dann? Hast du wieder ein gemeinsames Tattoo. Es wird mich immer an unsere letzte gemeinsame Zeit in Leipzig erinnern, ehe meine kleine Schwester loszog, um ihren eigenen Weg zu gehen, in Fußstapfen zu treten, die ihr viel zu groß erscheinen, von denen ich aber sicher bin, dass sie diese spielend ausfüllen und ihre eigenen hinterlassen wird.
Meine Oberschenkel ließ ich mir tätowieren, obwohl das die von mir am wenigsten geliebten Stellen meines Körpers sind. Nun habe ich mit ihnen Frieden geschlossen, schließlich tragen mich die beiden zuverlässig durch mein Leben. Meine Tattoos sind für mich Wegbegleiter zu meiner Selbstakzeptanz und vielleicht auch Ausdruck dieser. Mein Körper ist zwar kein Tempel, denn dazu esse ich zu viel Quatsch und trinke zu viel Wein, aber er ist meine Wohnung und die mag ich nun mal hübsch dekoriert. Ja, ja, sagen alle, aber was ist, wenn du mal alt bist? Jetzt ist das vielleicht noch schön, aber später? Ja was, später?! Diese Frage impliziert, dass nur junge Haut schön ist und das ist Bullshit. Unsere Haut ist vielleicht glatter wenn wir jünger sind, aber das hat nichts mit Schönheit zu tun. Wer das anzweifelt, kann sich ja mal gerne die Neugeborenengalerien der Krankenhäuser anschauen: ich wette, dass viele der Exponate gegen eine Galerie der Bewohner eines Seniorenheims ordentlich abstinken würden. Just saying. Meine Haut wird im Alter anders aussehen, ja. Aber weder meine Tattoos, noch Falten, noch irgendetwas anderes wird sie weniger schön machen. Ich freu mich jetzt schon drauf, in einem Sessel zu sitzen, ein Sammeltässchen Fusel in meinen runzeligen Händen zu halten und meinen Nichten und Neffen von der OBI-Bordüren-Tattoo-Idee, den umgesetzten Entwürfen meiner kleinen Schwester und der Liebe für delfter Porzellanmalerei erzählen zu können.
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